Dienstag, 29. August 2006

Weisse Segel leben

War er am Mittelmeer genauso auf Null wie an der Ostsee? Und welche Folgen hatte das für die sardischen Eier, denen er beim Kochen zusah?
Noch stand die Sonne hinterm Haus und die letzten Winde des Nachtmeers wehten ihm um die Brust. Sein schattiges Spiegelbild im offenen Fenster gefiel ihm;
nicht nur Frauen werden schöner durch die Liebe.

Sie hörte dem Rollen nach, dem Grollen des Meeres weit unter ihr im Fels. Irgendwann hatte sie gemerkt, dass es immer da war, nur hörte man es im Brechen der Brandung oft nicht. Die aufgeregte See hatte sich gelegt und sie musste den Kopf nicht heben, um zu wissen, das Meer lag jetzt gold funkelnd fast still und plätscherte blinkend die wilde Nacht aus. Nur in den ausgewaschenen Grotten unter ihr war der Sturm noch zu spüren. Dort schien die wilde Mondnacht festgehalten, als leiser Nachhall eines Traums.
In ihr schwang nichts nach, nichts hatte sie erregt, das jetzt abebben könnte und auch das tiefe Grollen aus den Felsengrotten unter ihr drang nicht in sie. Sie fühlte sich kalt, glatt und fremd wie ein Stein aus einem Gebirge, dessen Wasser nicht einmal in dieses Meer flossen. Soweit funktionierte ihre Ehe und Liebe noch, Er konnte Sie zwar nicht mehr entzünden, aber anstecken. Sein Feuer war an sich selbst züngelnd erloschen, ihr aber hatte Er Kälte in den Körper gepumpt. Nun lag Sie in diesem fremden Bett, die Schenkel gespreizt, wartend, das auch sein letzter Tropfen aus ihr lief und wusste, Er hatte Sie zu seinesgleichen, zu Stein gemacht.
Sein stöhnender Drang nach Leben liess Sie langsam sterben.
Früher und das war noch gar nicht solange her, mochte Sie die heftige Art, mit der Er über Sie kam. Heute kam Er immer noch so, nur die Momente davor hatten sich verändert. Noch immer konnte Er alle Worte für ihre Sehnsucht finden, doch mittlerweile wusste Sie, Er lebte fest in seinen Projekten und sprach nur von den Grenzverletzungen, die Sie zu leben versuchte.
Sie war wie Ausland für ihn, immer ein Stück Ferien in der Nähe.
Leider hatte Sie gelernt, ihm vorzumachen, was Er spüren wollte. Je heftiger Sie antwortete, umso schneller war alles vorbei. In letzter Zeit hatte sie diese Lüge sogar erregen können.


2
Breit und braun löffelte Er vor ihr sein Ei. Sie bestätigte, wie genial Er die veränderte Kochzeit auf fünfzig Meter über dem Meer berechnet hatte. Dann war Er wieder bei seinen Zielen, die Er mit verkniffenem Blick am Horizont suchte. Sie hatte keine Ahnung mehr, wo Er war, doch sie spürte, bei ihr nicht. Jetzt, wo immer noch sein kalter Saft an ihren Schenkeln klebte.

Ihre Worte mussten am Herz vorbei, das hoch im Hals zu schlagen schien.
Ich glaube, ich gehe heute hinunter zu Franco und mache ein paar Segelstunden mit ihm ab. Sagte Sie und beobachtete wie die Steilfalte auf seiner Stirn wuchs und sich wieder ebnete, bevor Er den Blick vom Sonnenmeer nahm und verwundert auf Sie richtete. Wusste Er nicht, jede seiner Erwiderungen würde ihren Entschluss nur immer fester machen? Er wusste es. Ich kann Dich verstehen, sagte er lächelnd, als sei Sie ein Kunde. Ein weisses Segel weit weg auf dem Meer. Immer weiter weg, bis du nicht mehr weißt, wohin das Boot fährt und es der Horizont schluckt.
Du verschwindest und wirst gleichzeitig neu geboren, da die Welt und alles in ihr, auch das Leben eben, rund ist. Neu ersteigst du dem Meer, für den der auf der anderen Seite des Horizonts steht. Ein schönes Bild für die Sehnsucht in uns. Verschwinden um neu aufzutauchen, sterben um neu zu leben.
Will Weisse Segel sehen, will weisse Segel leben!
Aber denke an unsere Gespräche der letzten Abende. Segel in der Ferne sehen ist das Eine, selber segeln etwas ganz anderes. Die Sehnsucht geht kaputt, wenn du sie dir erfüllst. Du nimmst dir das Bild. Aber mach, du bist eine freie Frau.
Wie wahr, dachte Sie. Vielleicht würde Sie sich nach ihm sehnen, wenn sie das Haus auf der Klippe vom Meer aus erkannte. Sie glaubte es nicht, wollte den Versuch aber unbedingt wagen, denn es ging nicht um die Sehnsucht nach ihrem Mann.

Weisse Segel leben, das war aus einem Lied, von einem, der sonst viel von Inseln sang. Einst hatte Sie diesen Mann, der sie jetzt langsam neben sich sterben liess, als Insel verstanden, später zumindest die Beziehung zu ihm. Bald wusste sie nicht mehr, ob sie ihn brauchte weil sie ihn liebte oder ihn liebte weil sie ihn brauchte. Ihr Leben war ein Film, dessen vorhersehbares Drehbuch Er schrieb. Ein Film von einer Insel auf der es alles gab, ausser Boote. Sie beide sollten sich gegenseitig und ausschliesslich die Insel sein, im feindlichen Meer der menschlichen Dumm- und Dumpfheit. Sie sollten sich halten, heben, tragen, gegenseitig der Boden sein, auf dem ihre Geschichte passierte. Sie wusste, dass Sand war, worauf sie standen. Irgendwann ihre letzte Hoffnung. Jeder Wind blies die Insel Korn für Korn ins Meer zurück. Auch das war nur ein Drama und jeder hatte seine Rolle, doch tat es ihr gut, den Rest des Untergangs nun selbst zu inszenieren.

Sie hatte den Schutz nicht gesucht, als sie bei ihren Exkursionen durchs Meer fast aus Versehen in seine Retterarme schwamm. Sie war so frei und das nach allen Seiten. Gerade die Tiefe fehlte ihr draussen in der hellen Welt. Doch erspähte Sie ihr Mann, in einem Moment, wo ihr, auftauchend aus dem Weit Unten, ein wenig schwindelig war. Da hielt Er Sie und trug Sie mit geübter Hand nach oben. Und es war schön, von starken Armen gerettet zu werden und so erfuhr Er nie, dass diese Rettung unnötig gewesen war. Sie hatte im Meer die Orientierung verloren, na und?
Die Angst davor hatte Er!
Auch als sie aufgetaucht waren, hatte er den harten Griff um ihre Brust lange nicht lösen mögen und redete Schaum und Gischt, bis Sie sicher war, gerettet in einem Sturm zu sein. Müde und wohlig streckte Sie sich aus, auf dieser Insel, die Er scheinbar aus der Tasche seiner albernen Badehose hatte rieseln lassen. Und als Sie benommen den Halt der kleinen Insel im Rücken genoss und für einen Moment einfach nur lag und war, hatte Er begonnen Sie langsam festzunageln. Doch seine Stösse drückten Sie nur in den warmen Sand, der angeblich sie selber waren.
Darüber sprach Sie später mit dem Mond, der tief und gross über dem Meer stand.
Er war am retten, auffangen, festmachen, von Anfang an, rettete mit ihr vor allem nur sich selbst, während Sie die Tiefe des Meeres und die Weite des Alls in sich trug und suchte.

Wir haben uns nie wirklich verstanden, dachte Sie und sah traurig auf ihren Mann, der ob der Aussicht eines freien Tages glücklich in der Sonne sass. Und immer dieses Schlingellächeln, der kleine Goldjunge, dem man doch nicht wirklich etwas übel nehmen konnte. Manchmal kam Sie sich vor wie seine Mutter, dann hasste Sie ihn. Er konnte nicht teilen, wollte besitzen, hungerte nach Liebe und war nicht in der Lage welche zu geben. Weil Er keine hatte. Prüfend sah Sie ihm auf den Bartschatten. Würde dieser Mann begreifen können, keine Insel zu sein? Würde Er tatsächlich ersaufen, oder machte Er ihr das vor, damit Sie blieb? Sie würde es testen müssen. Und wenn du nicht schwimmst, dann bist du tot!
Sie gönnte ihm den entspannten Blick in die Ferne der See, bald würde Er dort um sein Leben strampeln.
3

Franco der Segellehrer, Fischverkäufer, Hafenwächter, Waldfeger, Franco der kleine Drahtmann mit den Glutaugen musste nur wenig Segel setzen, damit sie rasch aufs Meer kamen und mit geschickten Seemannshänden löste er die paar Knoten, um Sie zu öffnen. Franco war der Sturm und sein Meister in einem. Und auch noch Kapitän. Sie selbst war wie ein Segel in seinen harten Händen und liess sich in den Wind drehen. Frei und leicht flog er über Sie, wie sein Boot übers Meer, kein Vergleich zum Hämmern, mit dem ihr Mann Sie befestigen wollte. Die Kurse waren ausgiebig von diesem Tage an und ihrem Mann fiel nicht auf, dass Sie weder Segeln noch Italienisch lernte. Doch auch ihr Strahlen sah er nicht, denn das Grollen des Meeres war aus den Kavernen der Felsen nun doch in ihren Bauch vorgedrungen und hielt sich dort bei Tag und Nacht. Wie der Stein einen Ton des Meeres in sich behielt, als ewige Erinnerung an seine Kraft, behielt auch sie Francos Energie und Schönheit in sich wie eine leise Gebetstrommel. Ob sie sich je wieder sehen würden oder nicht, dieser Mann würde so lange in ihr rumoren, bis Sie wieder eins mit ihm oder dann doch mit der See geworden wäre. Dachte Sie an Franco, hatte Sie auch vor dem Sterben keine Angst mehr, denn er war das Leben und eigentlich fürchtet man sich ja vor dem. Sie würde ihn nicht brauchen, Er hatte ihr nur gezeigt, wie man von dieser Insel wieder wegkommt. Segeln würde Sie alleine können, segeln oder sterben. Doch besser so, als angepflockt auf einem Haufen Sand.

4
Rasch schob sich die Fähre aus dem abendlichen Hafen. Die braungebrannten Mitteleuropäer sahen den gewagten Manövern im engen Becken zu, bestaunten laut den Sonnuntergang hinter der Costa Smeralda, fütterten Möwen, die sie gleichzeitig zu filmen versuchten oder waren einfach traurig, die Insel ihrer aller Träume hinter sich lassen zu müssen. Ihr Mann stand auf einer Mittelbrücke und sah hinunter zu den ordentlich geparkten Wohnmobilen. Was schaut er an, fragte sie sich, diese fahrbaren Gartenlauben, die alten Camper oder die Kinder, die dazwischen herum wuseln? Campingtische waren aufgeklappt, Weissbier wurde kunstvoll eingeschenkt, Windeln gewechselt, ein Baby gestillt und gleichzeitig der Papi bei Laune gehalten. Auch wenn sie mit ihrer peinlichen Limousine hier waren, schien ihr Mann gefallen an diesem Leben zu finden. Aber Sie hatte kein Interesse mehr herauszufinden, ob es die Menschen oder die Maschinen waren, die ihren Ehemann gefielen. Oder sah Er doch den Kindern zu? Das war jetzt egal.
Denn in ihr grollte und rollte der Abschiedssturm. Wie Wassertropfen wenn man auftaucht, fiel Franco von ihr ab und sie wusste, dass Sie es jetzt geschehen lassen musste. Das Halten ist der Tod, nicht der Schmerz, der Sie in die schlampig gepinselten Ecken des Schiffes zu drücken schien. Es ist besser, sich im Meer zu bewegen, als immer nur auf einer Insel zu stehen und es zu bewundern. Auch wenn man dabei sterben kann. Und sie war nah dran, denn was Sie vor sich im Wasser sah, krampfte alles in ihr zusammen, liess sie an einer Schiffsleiter halt suchen und sich kurz drauf in hohem Bogen über die Reling übergeben. Was ist denn mit Dir los?, eilte ihr Mann herbei. Sie hatte Mühe, den nächsten Schwall nicht in sein Gesicht zu spucken. Erst als Sie leer war und Er Sie mit seinem alten Rettungsgriff unter den Armen hielt, wagte Sie wieder, nach vorn zu sehen. Tatsächlich kreuzte ein kleines Segelboot den Kurs der Fähre, die sich den Weg frei hornte. Sie kannte das Boot genau, auf dem hatte Sie gelernt, auch ihre Insel verlassen zu können. Franco stand breitbeinig und fröhlich winkend, nachdem er das Segel eingeholt hatte und sie ihn überholten. Sie lächelte ein Insellächeln, als ihr Mann sagte, sieh mal, da ist dein Segellehrer und hob schwach die Hand, bevor Sie sie behutsam auf ihren Bauch legte.
Sie sah von ihrem Mann auf den Liebhaber im Boot. Ihre Freiheit wie auch ihr Halt, beides Männer. Letztlich fremde Männer. Dann legte Sie sich auch die zweite Hand auf den Bauch und wusste, genau von dort würde sie die Kraft haben, alleine weiter schwimmen zu können. Ohne Tests und Berechnungen war Sie sich ganz sicher, dort wuchs jemand heran. Und mit dem alle Kraft in ihr. Still weinte Sie dem Sarden nach und lehnte sich an den Mann, den Sie bald verlassen würde. Sie war zerrissen wie selten und erfüllt wie noch nie. Inbrünstig wünschte Sie, dass sie ihrem Kind niemals ansehen würde, wer wirklich sein Vater war.
Die Insel oder das Boot.

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