Mittwoch, 31. Mai 2006

TNT in der Post

Heute zum zweiten Mal im Leben versucht, einen Urgent Brief auf der Post zu verschicken. Schanzenpost Bern: "Nein TNT gibt es hier nicht, aber sie können einen Urgent Brief schicken." Auf dem Extracouvert prangt das TNT - Logo. "Nein, morgen ist der nicht in Berlin. Aber sie müssen diesen Bogen ausfüllen. Warum füllen sie die Zollangaben nicht aus, Wert und Gewicht? Achso Dokumentensendung. Warum fehlt hier die Telefonnummer? Ja, die Telefonnummer des Empfängers müssen sie mit draufschreiben. Ach, wissen sie nicht. Ich gehe mal fragen."
Pause
"Nein die müssen sie unbedingt draufschreiben, damit der Zoll da anrufen kann. Sonst geht es nicht"

Ich gehe. Ein paar Schritte weiter.

Bahnhof Gepäckverschickung. Der SBB Mann schreibt die Daten von meinem Brief ab in den Computer. Ich sage ihm m e i n e Telefonnummer, die andere ist nicht wichtig. Er sieht auf eine Tabelle und die Uhr. Selbstverständlich ist die Sendung morgen dort. Der Preis ist gleich. Sechzig Sekunden. DHL.

Ist einfach ne Erfahrung. Beim ersten Mal vor Jahren in Luzern dauerte der Urgent Vorgang der Post/TNT zwanzig Minuten. Zum Preis kam das Ticket, da draussen nur 15 min. Parkzeit möglich war und die Securitas wohl Lange Weile hatte. Der Brief kam nach drei Tagen an. Meinen unflätigen Telefonanruf liess eine trainierte Frau derart gekonnt abtropfen, dass ich nie wieder versucht habe, einem Konzern meine Meinung am Telefon zu sagen.

Gegenbeispiel. Ein grösseres Paket wurde letzten Oktober am Bahnhof Lugano ganz selbstverständlich umgepackt (ohne Mehrkosten)und per DHL versand. War am nächsten Tag da. Nur Erfahrungen.
Ist ja ein Tagebuch hier.

Dienstag, 30. Mai 2006

Faust 2 - gelesen von Peter Stein

Gestern Rückfahrt durch peitschende Wasser an einer achthundert Kilometer langen LKW Schlange vorbei. Gemerkt habe ich davon nichts, denn ich hörte oben genanntes Hörbuch welches es grad billig bei "Wohltat" gibt. Ich hatte so ein Überblickswissen ala Schwanitz, kannte ein paar Zitate, ausreichend für die Cocktailstunde, also im Grunde keine Ahnung. Was mich zuförderst und am stärksten wundert, wie heiter der Text ist. Sicher liegt es an Stein, wenn man es so leicht merkt, aber ich musste ständig lachen. Besonders in den ersten zwei Akten. Irgendwann kam ich nicht mehr mit, lies es aber laufen, da man irgendwann High ist von diesem riesigen Wortschwall. Den höre ich sicher noch oft. Kann ich nur empfehlen. Wortbesoffen liess ich beim letzten Tanken den Deckel auf dem Dach.

Montag, 29. Mai 2006

Was muss grösser sein als Perkampus?

Die Liebe zu deiner Frau, Micha. Nichts kann Dich steuern, beschneiden, eingrenzen. Aber für einmal, nur für einmal soll etwas grösser sein als du und dein Wahn, soll der Weg für einmal wirklich das Ziel sein. Du bist ein Naturpunk und trägst die Zerstörung vor allem deiner selbst in Dir. Sei so gross wie Sarina und gibt dich vor dieser Liebe auf. Und nicht danach. Auch deine Unvernunft ist sich selbst so langweilig gleich, wie meine Zirkelei und Bodenhaftung. Überwinde dich für einmal. Für jemand anderen.

Sonntag, 28. Mai 2006

Piazza Vitale - Impression aus Holland

Man fliesst mit all den Käufern im warmen Nieselregen durch Enschede, fühlt sich schon beim Anblick der niedrigen Häuser, grossen Fenster mit schwarzen Rahmen, Feuertreppen an weiss gestrichenen Backsteinwänden freier, ohne bis dahin in eine der Bars oder einen der Coffeeshops eingekehrt zu sein. Schleppt sich statt dessen ab mit vier Kilo Erbeeren, denn der Marktschreier gab: "Twej for twej Euros!" Da muss man ja. Die Hälfte der Früchte ist süss, die grünen Kragen so klein und festgewachsen, dass man sie mitessen muss.
Im Kino verkaufen sie einem ein geschicktes Arrangement, das ein Wiederkommen nach Enschede leicht macht. Das bräuchte es gar nicht.
Noch eine Runde durch die plötzlich stille Stadt. Erst jetzt, wenn nach fünf die Läden geschlossen sind, ist es möglich die Schaufenster genau zu inspizieren. Gut so, wir wollen sparen und dieses Brel-DVD-Set hätte ich garantiert gekauft und die alten Italiener und, und, und... Plato heisst der Plattenladen. Auch die Schuhschaufenster sind erstaunlich. Sehr italienisch das alles hier. Dann die Piazza. Eine riesiger Platz im Regen, fast komplett umgeben von sicher tausend Kneipenstühlen unter grossen Schirmen. Langsam füllen sich die Tische, an einigen wird schon gesungen. Die Polizei nimmt ein Protokoll auf, denn beim gelben Schnellkiosk, der auch warme Speisen über Automatenfächer verkauft, hat wohl einer die Patatjes nicht bezahlt. Wir wollen was im Sitzen, warten lange unter einem grossen Schirm. Ich beobachte die Taube die aus einem Verschlag des Doms in den Regen wartet, versuche den Text von alten van Veen Liedern zusammenzubekommen, weil manche Frauen hier wirklich Augen mit Blick auf das Meer haben und ihr Po in einer engen Jeans tatsächlich und immer noch jede Dimension sprengt. Ich singe vor mich hin, vom Echo einstiger Gemütsbewegungen. Ich bin sentimental und dich interessiert das nicht, weil dich der verwirrte Kellner aufregt, der ewig auf seinem elektrischen Block herumstochert, aber die Hühnerflügel nicht kommen. Wir staunen einer alten Dame nach und diskutieren ob ihr wollener Umhang und Hut nun Malvenblau oder hellblau mit lila Einschlag. Violette Karos liegen darunter. Die Achtzigjährige wirkt adretter als die halb so alten wahrscheinlich deutschen Frauen in warnfarbenen Synthetikjacken, die bei Regen nicht besser als gute Wolle sind, wie du mir erklärst. Viele Frauen tragen hier Stiefel, haben schöne Augen und ein Auto fährt mit einem Platten auf die Piazza um unseren Kellner abzuholen. Die Flügel beleiben weiter aus, auch die Taube oben bleibt still. Dann quert ein wunderschöner Glatzkopf in einer Art hellblauen Tunika auf einem rosa Velo den Blick, mein Hollandbild ist nun voll. Deín Wartekanal auch, der neue Kellner wird angenervt und muss die Flügel verpacken, die wir nun mit ins Kino nehmen.
Die Taube bleibt im Domfenster, als wir zum Kino gehen. Sie ist besser dran als wir, denn wir laufen sehenden Auges und wissenden Hirns in unser Unglück.

Denn der Film ist jede Ermässigung wehrt, wir wissen beide nicht, warum wir uns den "Da Vinci Code" antun müssen. Du wahrscheinlich wegen da Vinci, den du liebst und in dessen Geisteswelt wir uns kürzlich in der Sonderaustellung in den Ufficien vertieften. Ich, weil ich den Roman gelesen habe und mich nun überzeugen will, dass das nur Scheisse werden kann. Schön aber ist ein holländisches Kino. Das macht Spass. Die sind gelassener, auch die Pausen sind viel länger. Deine Flügel stecken sie in den Kühlschrank, weil man ein warmes Dinner nicht mit hinein nehmen darf. Wir leiden am Bonbonknistern einer Person, ich wegen der Störung, du wegen deínem Hunger.

Der Film verstärkt das Hauptmanko des Buches ins physisch Spürbare, die Figuren, die keine andere Daseinsberechtigung haben als eine dramaturgische sind kalt und lassen einen kalt. Hanks und Tautou absolvieren riesige Mengen Text, da ja unheimlich viel erklärt werden muss, sonst funktioniert Browns Verschwörungstheorie nicht. Die Spannung die das Buch hat, vermittelt der Film nicht. Wie wohl fast jeder Mann mag ich natülich Frau Tautou sehr, aber irgendwie habe ich sie gar nicht gesehen. Sie ist nicht vorhanden und Hanks hält einfach seine Schnauze hin. Zum Grausen. Ausserdem nuscheln sie alle und die holländischen Untertitel helfen nicht immer weiter.
Aber noch ein Tip für den, der bald mal nach Enschede kommt. Im Alhambra läuft bald "Capote" der im Original zwar auch kaum verständlich aber ein Genuss ist.

Müde diskutieren wir NOCHMAL über Maria Magdalena, Opus Dei, die Rosenkreuzler, Tempelritter g ä h n und verfahren uns unter diesem trotz Dauerregen auch um elf Uhr noch etwas hellen Nordhimmel.

Samstag, 27. Mai 2006

Leiche abgeschleppt

Gestern mal wieder achthundert Kilometer deutsche Raserei mitgespielt. Diesmal im Regen. In den Bergen des Siegerlandes überhole ich einen schönen Leichenwagen, der von einem Jeep auf einem Hänger abgeschleppt wird. Wie so viele andere Autos wird auch der wohl verkauft werden. Doch auf gleicher Höhe sehe ich die halb offene Fahrerscheibe, fahre lange parallel und erkenne irgendwann, die andere ist auch offen. Die lüften das Auto? Im Regen? Meine Fantasie dreht durch und ein angenehmer Grusel erweckt mich kurz aus dem Stumpfsinn der Raserei. Das Auto ist kaputt, da geht auch keine Klimaanlage und keine Lüftung mehr. Und der ist beladen! Hier wird eine Leiche abgeschleppt. Das könnte eigentlich auch mir mal so gehen.
Noch bei der Überführung geht das Auto kaputt und ich werde ein letztes mal abgeschleppt.
Von gelben Engeln!

Romansujet zu verschenken 1

Ein Endreissiger der Kinderschokoladen/Bonanza/Golfgeneration, der sich durch fortgesetztes Nichternstnehmen der Realität kaum von seinen Altersgenossen absetzt, das achte Revival seiner Punkband plant, noch immer am Durchbruch als Comicautor arbeitet und sein Geld zum Glück noch mit irgendwelchen Projekten und AL 2 "verdient", fällt seiner schönen, künstlerisch aktiven und erfolgreichen Frau als zunehmend lethargisch, depressiv und stumpf auf. Gesprächen weicht er aus. Über drei Jahre entwickelt sich eine Krankengeschichte, deren massive aber nicht sichtbare und wenig glaubhafte Symptome ihn niemand abnimmt. Andere vermuten eine massive Depression, weil nun nach zwanzig Jahren die Traumwelten weiter weg denn je sind. (Das gibt es ja nicht so selten) Über Hausarzt/Kardiologen/Neurologen/Psychiater wird langsam die seltene Krankheit erkannt. Der junge Mann lebt in einem zumindest nervlich rapide alternden Körper, ihm werden die Nervenbahnen eines achtzigjährigen diagnostiziert. Soweit das Leben.

Im Roman nun könnte der Mann sein Schicksal annehmen und äusserlich einer postpostmoderen Generation angehörend, das Leben eines achtzigjäghrigen führen, über Schmerz, Unvermögen und Verzicht zur Weisheit kommen und unter all den Lauten und Erfolgsjägern und Glücksrittern, in der inneren Emigration des Alten sehr glücklich werden. Da seine Frau ihn begreift, wird sie es auch.

Donnerstag, 25. Mai 2006

Auffahrt - Ascension Day - Himmelfahrt - Herrentag - VATERTAG

Wie ich hörte, beginnt nun langsam in der Schweiz, was in Deutschland eine merkwürdige Tradition hat. Auch meine Heimatstadt ist heute ruhig, wie das ein Expatter von Basel beschreibt. Gera aber, weil die Männer in merkwürdigen Anzügen in den Wäldern um die Stadt herum wandern. Das ist eine Art Orientierungslauf mit Schankwirtschaften als Stationen. Statt einem Stempel gibt es Schnaps. Für das zwischendurch führt man einen mit Birkengrün geschmückten Handwagen mit, der anfangs voller voller, und am Ende voller leerer Flaschen ist. Dafür sind dann die Ziehenden voll. Das ganze ist sehr laut und doof, vergleichbar mit der Befreiung des Bürgers an Fasnacht. Besser Situierte und Vereine laufen nicht und mieten Pferdekutschen. Ich war mal bei einer solchen "Herrentagsparty" von Urologen dabei und
erinnere einen Oberarzt, der am Hoftor eines Gasthofes der uns nicht mehr aufnehmen konnte/wollte, vor dutzenden anderen Männern sein Wasser abschlug und laut dabei rief: So rächen Urologen! Ein anderer unbeliebter Assistent wurde später in einem Goldfischteich versenkt. Das ganze endete im Garten eines Kollegen, dessen Ehefrau sich heftig wehren musste, da einer der Fachärzte ihr in der Küche vorführte, wie erektil beieinander er trotz dreikommafünf Promille noch war. Das ganze endete für alle komatös, nur die Harten fanden aus dem Garten, und nur die Helden am nächsten Morgen den Weg in die Klinik.

Später, schon abstinent lebend, las ich mal eine Himmelfahrtsgeschichte aus meiner Gegend, da war ein Leichenwagen verunglückt, aus dem acht volltrunkene, mehr oder weniger verletzte Männer geborgen wurden, die auf der Rücktour gewesen waren. Auch von einem verunfallten Löschfahrzeug mit im Graben immer noch singenden Feuerwehrleuten las ich mal.

Mein schönstes Erlebnis hatte ich ein Jahr nach dem Komasaufen mit den Urologen. Ich ging nach Dienst gemeinsam mit meiner damaligen Frau in eine nahe der Klinik liegende Waldschenke. Uns kamen Dutzende grölende Männer entgegen, die insbesondere mich, ob meiner Unfreiheit verhöhnten. Nie habe ich öffentlich mehr zu meiner Liebe gestanden als an diesem Nachmittag und war stolz wie Oskar, meine schöne und schwangere Frau, diesem Stumpfsinn vorzuziehen.

Das Hakenkreuz im Beton - DDR Anfang der Siebziger

Nochwas zu Heyes Aussagen über die Herkunft der Nazis und den Zusammenhang zur DDR, was eine sehr komplizierte Realität ist.

Eine wahre Geschichte:

Anfang der siebziger Jahre in der DDR war ich vier oder fünfjährig, noch kein Schulkind und konnte also ein Hakenkreuz höchstens ein oder zweimal irgendwo gesehen haben. Der Antifaschismus war strikte verordnet, was auch bedeutete, dass die Symbole im Gegensatz zu heute, überhaupt kaum zu sehen waren. Auch in der Gegenpropaganda hatten sie keinen Platz. Es waren verbotene Zeichen und wurden nicht dargestellt. Wo ich dann irgendwann mal eines gesehen habe, weiss ich nicht. Meine Eltern waren Lehrer und vielleicht lag ein Buch herum.

Eines Tages spielte ich in unserem Hof, der eine kleine von Flieder umgebene Hangwiese war. Irgendwer musste mich schon angeschissen haben, die Zahl der Verbote in diesem Hof war enorm. Zum Beispiel war eine Generation vor mir ein Junge in die Jauchengrube gefallen und somit das Spielen auf dieser und ihren Deckeln verboten. Sah ich diesen Jungen als erwachsenen Mann seine Eltern besuchen, fand ich, nach ihm roch das ganze Treppenhaus immer noch nach Scheisse. An diesem Tag jedenfalls war auch das Baumeln am Geländer der Treppe aus dem Keller verboten, da es wahrscheinlich von dem immer noch stinkenden jungen Mann, frisch einbetoniert worden war. Das erste Mal sah ich weichen, noch glänzenden Beton und erlag seinem Reiz. Ich hockte auf der Ziegelmauer neben dem kleinen hellgrauen Quadrat und irgendwas führte meinen Finger, bevor ich aus dem Hof und dem Blickfeld der ganzen Hausgemeinschaft floh. Ich hatte ohne Fehler und Richtig herum, ohne Absatz und Schmieren ein Hakenkreuz in den frischen Beton gemalt. Eben wie Heye sagt, das Maximum an Verbotenem getan. Hätte ich auf Frau Müllers Wäsche gepisst oder sie in der Jauchengrube versenkt, das Entsetzen wäre nicht grösser gewesen. Diese Frau Müller, eine durchgeknallte Achtzigjährige, die aus ihrer Hilfserzieherinnenzeit in einem Waldorfkindergarten, das Wissen um Wiesen und Waldgeister behalten hatte, die sie bei ihren allmorgendlichen Taugängen beschwor, und die also mit dem Staat DDR sehr wenig am Hut hatte, die nahm mich als erste ins Verhör und Gebet. Das war unangenehm, da sie stark milchig nach alter Frau roch. Meine Eltern erklärten mir dann später eindrücklich und handfest, dass ich ein Verbrechen begangen hatte. Unbewusst war das ja auch mein Ziel, schliesslich hing ich gelangweilt allein in dem Hof herum. Nun hatte ich Aufmerksamkeit. Woher ich überhaupt das Symbol kannte, ist mir bis heute unklar. Aus dem Riesentheater um die nötige Neueinfassung des Geländers blieb mir aber der absolute Respekt vor dem Hakenkreuz.
Später wurde ich ein glühender Pionier, noch später ein schwelender Liberaler, die kleine, frühe rechtsextreme Eskapade blieb ein winziger scharzer Fleck in meinem Sein.
Freundschaft. Setzen.

Später als auch ich Jungerwachsen geworden war, ohne in die Grube gestürzt zu sein, Frau Müller nicht mehr nach Milch sondern nach Urin und Kot roch, tauchten zum Ende der DDR, welches ich noch nicht absehen konnte, die ersten Neonazis auch bei Jan im "Cafe Inflagranti" auf. Ich stand in der Nähe der "Gammler" den ostdeutschen Ausläufern der Hippiebewegung. Irgendwie ging alles, aber was der Nazi da erzählte war im wahrsten Sinne des Wortes unerhört. Das durfte man doch wirklich nicht. Auch hier wirkte das Maximum an Unerlaubten. Und wie schön sagt Heye:
"Das sind heute die Väter an den Abendbbrottischen."

Schönen Vatertag!

No Go Areas

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,417861,00.html

Hier nochmal Herr Heye, dessen Aussagen ich aus eigenem Erfahren nur bestätigen kann. Interessanterweise widersprechen seine Angaben diametral dem, was die Politik verlauten lässt. Siehe zum Beispiel den Einsatz der Polizei. Auch entstehen merkwürdige Doppelbilder. Auf allen Kanälen wurde diese Woche nochmals vom Martyrium des kleinen, dunkelhäutigen Jungen berichtet, der in Pömmelte von jugendlichen Nazis über Stunden fast tot geschlagen wurde. Ohne das irgendwer im Dorf etwas bemerkt hätte.
Wir sehen Kameras die seinen Leidensweg statt seiner gehen, seine Optik verwenden, da der Junge nicht vor Kameras, ja nicht mal auf die Strasse geht. Er traut sich nicht. Die Reporter vermelden das weinerlich, bevor der Schnitt kommt. Die Gerichtsverhandlung. Man sieht die lächelnde Richterin, hört die milden Urteile und dann...sieht man doch tatsächlich, wie die Verurteilten unter ihren Kapuzen versteckt und von Anwälten und sogar Polizisten beschützt das Gericht die Treppen hinab stürmend verlassen. Nochmal: das Opfer traut sich nicht mehr auf die Strasse. Seine Verurteilten Peiniger rennen vor einem Millionenpublikum und geschützt in die Freiheit.
Das sind die falschen Bilder.

Mittwoch, 24. Mai 2006

Wahre Ironie

Ian Flemming - Casino Royal

"Frauen waren zur Enstpannung da. Sonst aber standen sie nur dauernd im Wege und vernebelten alles mit ihrer Weiblichkeit, ihren verletzten Gefühlen und dem was sie sonst noch mit sich herumschleppten, dauernd hatte man auf sie Rücksicht zu nehmen und für sie zu sorgen."

denkt James Bond bevor die erste Frau im Roman auftaucht, die ihm als Kollegin zur Seite gestellt wird.

Warum nun wahre Ironie?
Flemming nimmt in Kauf nicht verstanden zu werden. All die Filme durchzieht ein Machissmo, der schon auf den ersten zwanzig Seiten des ersten Romans als Ausdruck für Bonds Schwäche benutzt wird. Das wollen Millionen nicht sehen und Flemming ist das egal. Gesagt hat er was anderes als verstanden wird. Das ist gross.

Montag, 22. Mai 2006

Gestern in das grosse Wichstuch "Spiegelforum" gespritzt

Ich gebe ja zu, dass das nur halblustig und völlig sinnlos ist. Aber zu diesem Gelaber fällt mir nichts mehr ein. Ich bin nicht wegen den Nazis gegangen, aber auch wegen Ihnen niemehr zurück gekehrt. Ich sage es nochmal ganz einfach und deutlich. Es gibt Gesetze und es gibt eine Polizei mit furchtbar schnellen Autos.
Bevor ich mit Tätern rede und sie zu verstehen suche, muss ich ihre Taten a h n d e n !!!
Siehe Giulliani in NYC.




Hau mir auf die Schnauze, Nazi.

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Genau so wie man in der Bronx einen Teil der amerikanischen Wahrheit sehen kann, wird völlig zurecht vor ganzen Landstrichen in Deutschland gewarnt. Das macht das Bild nur ehrlicher, die Reaktion diverser Politiker, insbesondere Frau Reiche und Herr Schäuble, zeigt, wie weit weg diese von irgendeiner Realität sind. Auch das gibt es anderswo. Oder steht Bush mit den Füssen am Boden? Bald wird es ja auch amerikanische Mauerschützenprozesse geben. Und wahrscheinlich wandert Bush nach seiner Amtszeit in den Knast wie Krenz damals.

Ich wohne auch in einem Ausland, aber in einem in dem es nicht toll und von Vorteil ist, aus Deutschland zu kommen. Man lernt dort viel über die völlig unbegründete deutsche Überheblichkeit.

Es ist richtig und muckelig nett (meine Verbeugung vor Dittsche), festzustellen, dass man die jungen Rechten mit Ballspielen und Bastelnachmittagen mitnehmen und zurück auf den demokratischen Pfad führen müsste. Statt hier Seiten voll zu schreiben, sollte jeder anständige Links-Liberale seine ETW in Eppendorf verkaufen und stattdessen so einen pickeligen Glatzkopf aus Gera, Riesa, Torgau, Dessau...e.t.c. in Pflege nehmen. Wenn der deutsche Staat das Recht nicht mehr vollziehen kann, müssen es seine Bürger tun. Mein Nazi bekommt einen schönen Käfig, den er sich nur mit ein paar Pitbulls teilen muss.

Oder aber wir greifen eine alte Idee auf, und ziehen die Mauer doch wieder hoch. Da der Osten ja in absehbarer Zeit sowieso verlassen und verloren sein wird, könnte man ihn doch den Nazis überlassen und vollständig mit brauner Scheisse fluten. Obacht sollte man nur haben, dass arbeitslose deutsche Ingenieure nicht wieder anfangen und in Peenemünde Raketen basteln. Die sie dann bei Iran-Angola im Stadion zünden.

Wir leben in einer Welt, in der zweifelsfrei letztlich das Recht des Stärkeren gilt. Kein Wunder wenn sich die Kinder der Zukurzgekommenen, Verraten und Verkauften auf ihre sehr einfache Art im Schlagen üben. Doch noch regiert das Recht und nicht die Rechten. Warum wird es nicht angewendet? Nach meiner Meinung und von aussen betrachtet, macht der Staat in Deutschland fast was er will. Seine Gewalt wendet er gegenüber der Rechten nicht an.
Der Osten ist aufgegeben. Wann folgt der Rest?

Dichten und Richten











wir

worauf wir schlagen
sind nur beutel voll blut
die platzend spritzen
an die wände
im wir
das es nicht gibt

wir haben uns beschenkt
mit uns
um nun zu töten
was wir sind
ein bild im anderen
rahmen

Samstag, 20. Mai 2006

HERZKRANZGEFÄSS von Heiner Müller


Heiner Müller


HERZKRANZGEFÄSS


Der Arzt zeigt mir den Film DAS IST DIE STELLE

SIE SEHEN SELBST jetzt weißt du wo Gott wohnt

Asche der Traum von sieben Meisterwerken

Drei Treppen und die Sphinx zeigt ihre Kralle

Sei froh wenn der Infarkt dich kalt erwischt

Statt daß ein Krüppel mehr die Landschaft quert

Gewitter im Gehirn Blei in den Adern

Was du nicht wissen wolltest ZEIT IST FRIST

Die Bäume auf der Heimfahrt schamlos grün

Freitag, 19. Mai 2006

Nazi(s)deutschland - Eine erweiterte Reisewarnung

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,416923,00.html

Die Kommentare zu den Äusserungen von Heye sind das Verlogenste und Bigotteste
(ich wusste bis eben gerade gar nicht, dass es dieses Wort gibt) was ich seit langem las. Herr Sodann, Herr Schöne e.t.c. mögen ja noch eingermassen Recht haben, aber keiner der vielen, vielen Politikerinnen, die das S t a m m t i s c h und Gaststättengewerbe und den Tourismus (hä?) schützen wollen, kamen und kämen je in die Gelegenheit, einen unbewachten Fuss in die "befreiten" Zonen Ostdeutschlands setzen zu müssen. Heyes Fehler war nur der, dass er seine Aussage nicht nur auf Brandenburg hätte beschränken dürfen.

Ich selbst komme aus Thüringen und lebe seit fünfzehn Jahren in der Schweiz. Immer wieder fahre ich familiär bedingt nach Ostdeutschland zurück.

Mein Eindruck:

Nazis haben die Hoheit der Strasse.
Nazis werden von der Polizei weitestgehend gelassen.
Nazis werden von der Mehrheit der Bevölkerung wortlos gebilligt.

Es trifft nicht nur Schwarze. Besonders hässlich ist die Geschichte eines Russen der in Gera zwischen Triebwagen und Hänger der Strassenbahn gedrückt wurde, als die anfuhr. Auch Schweizer sind in Gera schon gejagt und vermöbelt worden. Ich selbst versuche z.B. mein Schweizer Kennzeichen am Auto, auf welches ich sonst stolz bin, nachts beim Parken möglichst nicht sehen zu lassen. Ansonsten ist ein Schlüsselkratzer rund um das Auto fast vorprogrammiert. Meine Mutter wohnt aber auch in einer harten Gegend.

Es macht keinen Spass mehr, daheim zu sein, die Dumpfheit ist fast mit Händen zu greifen. Ein Rezept habe ich nicht. Ausser das die öffentliche Meinung doch langsam akzeptieren sollte, dass der Osten nicht nur wirtschaftlich und demografisch längst v e r l o r e n ist.

Lasst sie unter sich, gebt ihnen Schnaps und ihre Landeserkapellen.
Mauer wieder hoch und fluten!
Nein, das ist nicht nötig, der Osten ist bereits geflutet -

Mit brauner Scheisse!

Donnerstag, 18. Mai 2006

Manchen Nächten

Manchen Nächten
scheint kein Tag mehr folgen zu können

EIN WÄLZEN IM GRAB DER GEFÜHLE

Aus dem die Idee steigt
Narben könnten die Erinnerung der Wunden sein
was ich erinnern muss
kann ich auch vergessen

Narben ziehen nur manchmal
und zeigen Wetter an
Wunden reissen einen aus dem Schlaf
und sind ein Bild der Klinge
die sie schlug

Mittwoch, 17. Mai 2006

Udo Lindenberg wird heute 60 !!!

Dazu sei ihm gratuliert. Es sagt viel über uns selbst, wenn wir über die, die wir früher so verehrten, heute nur noch den Kopf schütteln können. Bei wenigen Künstlern bin ich so hin und her gerissen wie bei ihm, viele der Lieder, auch der neuen, mag ich, doch sobald Udo den Mund zu einem Interview aufmacht schalte ich ab. Nur, er wäre nie so weit gekommen, wäre er wirklich so bescheuert, wie er meistens wirkt. Das scheint einer seiner Tricks zu sein. Wer kürzlich das Jubiläumskonzert gesehen hat, staunt a.) das es der Mann doch noch so eingermassen kann und b.) das er sich noch hinaustraut. Wenn Jagger mit sechzig über die Bühne hippelt (und man merkt, dass er täglich trainiert) ist das immer noch cool und sexy, redet Herr Udo von Panik wirkt das lächerlich. Obwohl er wohl zu einer Fitnesskur gewesen sein muss, und nicht mehr wie ein Lindenbergwerbezeppelin aussieht. Er nimmt sogar die Brille ab und man staunt über schöne und schön geschminkte Augen.

Merkwürdig ist, zumindest aus meiner Sicht, wie sich die Qualität seiner Musik und seine öffentliche Wirkung diametral entwickelt haben. Meiner Meinung nach ist seine Musik nicht immer stetig aber doch besser geworden, der "Exzessor" ist zum Beispiel ein ganz aussergewöhnlich ausgewogenes Werk, wenn auch simplen Mainstreamrocks. Man will Udo hören, ein bisschen sentimental bei seinen Balladen werden, das kann er immer noch und seine schnellen Titel werden jetzt im Alter endlich anhörbar.

Ich sah kürzlich im TV eine seine alten Shows. Einerseits war ich sprachlos, dass er im Jahre 1979 den späteren Schlingensief schon vorweggenommen hat und da war er AVANTGARD!!! Andererseits hat dieses Konzert im Ohr wehgetan. Für sein deutsches
"Sympathie For The Devil" müsste man ihn heute noch schlagen, für die beiden Ringer auf der Hinterbühne auf die dicken Lippen küssen. Wir habens gern rund und bei Udo ist das nie so. Erst wenn er wie jetzt in seiner Jubiläumsshow perfekt sein will, dann wird er unangenehm durchgehend süsslich. Das Schlimmste ist sein Meinungsopportunismus, Udo sprang auf viele Züge auf, peinlich zum Beispiel seine Berlinlieder vor ein paar Jahren. Aber ein paar Mal war er der mutige Erste, als Exossi bin ich ihm ein Leben lang für den "Sonderzug nach Pankow" dankbar. Obwohl auch dieses Lied eigentlich pudeldoof ist. Ich war fünfzehn damals im Osten. Man kann sich nicht vorstellen, wie wichtig Udo für uns war. Unvergesslich das Konzert im Palast der Republik, mit steifen, regungslosen Blauhemdträgern auf den tausend Sitzen. Aus dieser Zeit gibt es heute noch Lieder die ich auswendig kann. "Baby wenn ich down bin - Kugel im Colt - Schneewittchen - Andrea Doria - CELLO!!!! - Mädchen aus Ostberlin" e.t.c. Seine öffentliche Erscheinung ist fragwürdig, auch wenn sich der Gaspromkanzler seine Liquorelle in die Gänge hing, aber das mag eine Absicht sein, ein richtiger Rocker muss die Selbstzerstörung am Ende des Exzess im Auge haben. Andere fallen von Palmen...
Ich höre gerade seinen "Panther" nach Rilke, da kann man nichts sagen, wenn er das selbst geschrieben hat, dann ist er immer noch genial.

Udo ist kaputt in der Birne, lustig und so wenig perfekt wie nur irgendwas. Bloss weil ich immer steifer werde, halte ich den alten Paniker wohl für formlos.
Hey, du alter Sack! CONGRATULATIONS!!!
Hör nicht auf unser einen und all die alten Spiesser! Ich gehe jetzt an meinen Staubsauger und reib mir einen am James Dean Bild, denn ... Er ist vierzig...

Wird fortgesetzt.

Dienstag, 16. Mai 2006

Sterben lernen vom Meister beschrieben

Heiner Müller

ABSCHIEDE

1
Du bist gegangen Die Uhren
Schlagen mein Herz Wann kommst du

2
Gestern habe ich angefangen
Dich zu töten mein Herz
Jetzt liebe ich deinen Leichnam
Wenn ich tot bin
Wird mein Staub nach dir schrein

3
Städte Landschaften mit Trauer besetzt
Ich kann sie nicht mehr sehen mit deinen Augen
YOU WERE BREASTS THIGHS BUTTOCKS NO NAME
Du wirst Knochen sein Staub kein Erinnern

4
FASS MICH NICHT AN
Die Stunde wenn das Herz stirbt

5
Vor meinem Balkon schrein Vögel
Sie wissen von Nichts Ich
Warum sollte Ich schrein alt
Sechzig und drei Jahr

Montag, 15. Mai 2006

Sterben lernen und Sterben sind zweierlei

Wohin der Weg führt weiss ich nicht, vielleicht nur, wovon weg, doch scheint er lang zu sein. Deshalb versuche ich seit zwanzig Jahren und das entgegen meinem Naturell und den körperlichen Voraussetzungen, mich durch Joggen fit zu halten. Es ist mehr eine mentale Übung als Sport. Eines der vielen da denkbaren Vergnügen ist es, an einem Freitagnachmittag, seine ganz eigene Rushhour zu gestalten und zum Beispiel einen ausgedehnten Lauf durch Bern zu unternehmen. Für den Abend war ein Essen vorgesehen, doppelt Grund also, noch ein wenig Kraft zu verbrauchen. Ausserdem konnte ich den zu erwartenden Adrenalinflush gut gebrauchen. Mühsam, da es nicht der erste Lauf der Woche, aber auch keiner in einer Trainingsphase war, ging es die erste dreiviertel Stunde immer der Aaare na, der schönen grünen Aare na… Doch langsam wurden die Schritte länger, der ganze Körper lief, tanzte und sprang trotz Schmerzen zur guten Musik aus den weissen Stöpseln. Das Adrenalin war gekommen und die Momente des rennenden Fliegen begannen. Es ging durch die Matte und ich beobachtete das lebendige Treiben in ihren Lauben und Strassen an einem Freitagabend. An der Sprachheilschule standen Eltern und Kinder draussen und feierten wohl ein kleines Schulfest. Ich sah genau hin, denn auch dort hatte Conny sich beworben. Plötzlich sah ich die weit aufgerissenen Augen einer Frau, die mit offenem Mund mitten aus einem Gespräch heraus mit ausgestrecktem Arm auf die Kirchenfeldbrücke wies. Automatisch folgte ich ihrem zeigenden Finger wie alle anderen auch, ihren Schrei hörte ich nicht, sondern

Oh, a storm is threat'ning
My very life today
If I don't get some shelter
Oh yeah, I'm gonna fade away

An oder unter der Brücke konnte ich nichts erkennen, in der Matte, an den Ufern der Aare, vor dem Schwällemätteli schien der Betrieb normal zu laufen, etwas langsamer als zweihundert Meter weiter oben auf der Kirchenfeldbrücke, wo sich Strassenbahnen drängten und Passanten liefen. Über dem Sportplatz standen einige und sahen nach unten, aber das ist normal an dieser Stelle, auch ich habe dort schon den kleinen Sturz der Aare und die Matte bestaunt. Am beeindruckensten ist die Brücke am ersten August Abends gefüllt, wenn sich dort oben Tausende das Feuerwerk um die Ohren fliegen lassen. Das Leben und ich liefen normal weiter, ich sah noch mal nach der Frau, die abseits der Kindergruppe einigen Erwachsenen aufgeregt etwas beschrieb. Immer wieder zeigte ihr Arm zur Brücke unter der ich nun hindurch lief. Einmal hatte ich mit vielen anderen und der Frau, die später meine Ehefrau wurde und es nun bald nicht mehr ist, unter ihr auf dem Sportplatz gelegen und bei live gespieltem Jazz einer Akrobatentruppe zugeschaut, die in den Bögen an Seilen und Trapezen hängend eine Art Theater spielten. Die Handlung erschloss sich mir nicht, aber atemberaubend war, wie Menschen auf dem Kopf stehend, die Bögen abliefen und unter ihnen pendelten. Eine atemberaubende Vorstellung. Kurz bevor ich die Aaare querte überholte mich ein rasender Krankenwagen, dessen Sirene stärker als mein I-podchen war. Sie fuhren in Richtung Schwällemätteli und bogen dort ein. Vielleicht war jemand nach dem achten Whiskey in die Aare gefallen oder hatte sich auf dem Weg zum Bärengraben den Fuss gebrochen. Nun auf der anderen Seite des Wassers näherte ich mich dem Sportplatz, mehr als das übliche Gerangel und Zirkulieren um die wenigen Parkplätze war nicht zu beobachten. Dann sah ich den Krankenwagen auf dem Sportplatz stehen. Wahrscheinlich war also ein Sportler, vielleicht ja ein Jogger verunglückt. Ich hörte statt den Stones nun auf mein Herz. Drohte auch mir der Sekundentod? In Höhe der Sanitäter angekommen, sah ich den jungen Mann um den sie sich bemühten, beziehungsweise wie sie gerade wieder ihre Geräte verpackten. Nicht gut, eine Minute nach Ankunft. Er lag in Strassenkleidung auf dem Rücken recht normal auf der Bahn, nur sein Kopf war stark von dunklem Blut verschmiert. Das sah ich in der Sekunde bevor Polizisten die Plane über ihn deckten und blieb stehen. Es dauerte einen Moment bis ich begriff. Mein Blick ging nach oben, dann über die Aare, wo die Frau immer noch gestikulierte und dann wieder nach oben. Ich nahm die Stöpsel aus den Ohren und ging langsam weiter. Es dauerte eine Weile, bis sich das Entsetzen gegen das kreisende Adrenalin in mir durchgesetzt hatte. So muss es im Krieg sein, wenn du um dein Leben rennst und im Augenwinkel siehst, wie ein Kamerad, nicht du, nein ein anderer tot liegen bleibt. Du musst einfach weiter rennen! Schrie mich das Leben an, aber es ging nicht.
Da war also einer, mitten im blühenden Mai aus dem Freitagnachmittagtrubel und aus dem Leben gesprungen. Es ist schwer wenn man im Frühling stirbt, heisst es in einem Lied. Langsam ging ich weiter und versuchte was zu denken, doch das geht nicht mit Adrenalin und einem Schock. Ich horchte in mich, was in einer solchen Situation aufstieg. Es waren nur zwei Worte: Du Arschloch! Nicht sehr originell, aber mehr war nicht. Und es blühte eine kleine Freude, ganz unten in mir. Lebensfreude. Auch dieses beschissene, lächerliche Joggen ist Teil der Arbeit gegen das Bedürfnis ab und an von einer Brücke zu springen. Und ich dachte an die, der ich seit anderthalb Jahren mit immer noch wachsender Freude zuhöre und die immer wenn es nötig ist, das richtige Ohr für mich hat. Dem Selbstmörder hatte wohl niemand zugehört. Ich stellte mir jemanden vor, der von seinem Computerarbeitsplatz kommend, einem weiteren leeren Wochenende entgegensah und die Löschtaste gedrückt hatte. So einfach wird es wohl nicht gewesen sein, doch dann kamen mir aufgeregte Menschen entgegen, die oben auf der Brücke gewesen waren und nun zum Landeplatz eilten. Ein Mann weinte. Ich hörte ihn immer wieder sagen: Der ist vor mir gelaufen und dann ganz plötzlich einfach über das Geländer gesprungen. Das Entsprach meinem Bild vom Kurzschluss. Und für den gibt es nur das Wort Arschloch. Der Suizidale hatte noch nicht gewusst, dass man nicht springen muss.
Ich steckte mir die Musik wieder in die Ohren und rannte langsam weiter. „Satisfaction“ war dran. Lieber albern leben als gar nicht. Schon im Getümmel am Bärengraben war nichts mehr von dem Drama zu spüren, was gerade stattgefunden hatte. Für irgendwen würde es erst beginnen. Für die, die in ein paar Stunden Besuch von zwei Polizisten mit der Todesnachricht bekommen würden.

Das Essen war grossartig und ich versaute meinen Kollegen und Freunden diese kleine Feier des Lebens nicht mit einem Bericht meines Erlebnisses. Berner denen ich später davon erzählte, winkten nur ab und brachten haufenweise Gruselgeschichten von Menschen hervor, die von Berner Brücken auf andere Menschen, Kinderwägen, Hunde und Autos gefallen sein sollten. Ich glaube das mal alles nicht. Weil, ich lebe ja.

Der alte "Sterben lernen" Text

STERBEN LERNEN

Was sagt dein Psychologe?
Du sollst loslassen!
Na denn!
Tatsächlich ich falle. Dein Gesicht! Mein Gott wirst Du schnell klein. Was ist das für eine Brücke? Muss man doch wissen, wo man zu Tode stürzt. Kornhaus, Lorraine, Kirchenfeld? Du weißt es nicht. Ach Du bist schon gar nicht mehr da. Falsch mein Schatz, ich bin gleich nicht mehr da. Du wirst nur immer kleiner und bist gleich weg. Doch nur für mich. Denn Dich nehme ich nicht mit! Weil du nicht sein willst wie Du bist, muss ich ein anderer werden. Zu Eis erstarrt neben mir. Und nun? Taust Du an meinem Grab? Wünsch es Dir nicht. Gleich wird ein Loch sein, wo ein Egoist war. Ähnlich kalt. Du konntest mich wach treten, Du konntest mich weg treten, aber Du hättest mich nicht von der Brücke stossen sollen. Nein, ich wollte das nicht, ich wollte Dir auf dem Geländer nur noch mal Deinen Brief vorlesen. Nein, ich hatte auch kein Unwohlsein. Ich wollte Dich Deinem Hass ausliefern und mich mit. Du solltest einmal Deine eigenen Worte hören. Einmal.Weil meine Liebe zu gross und ich zu klein für Dich war, muss ich mit vierzig sterben. Wir alle verletzen uns, nicht ich Dich. Wir alle verletzen uns alle. Ständig. Wir alle verletzen uns ständig selbst. Wir leben verkehrt, weiss man wenn man stirbt. Du willst, ich will. Wir wollen zuviel. Alle. Ist das der Preis der Freiheit? Der freie Fall? Zahl ich für Deine Freiheit mit oder nehme ich sie Dir endgültig? Wie ist denn Dein Gefühl zu mir? Jetzt! Ein bisschen Nähe? Ein bisschen ist nichts. Auch Du warst mir nicht genug, ich habe mich nur anders verteilt. Nicht weil ich ein Mann und Egoschwein bin, sondern ein anderer Mensch. Das entschuldigt nichts was Dich verletzt hat. Doch ich bin es der fällt. Vielleicht auch, weil ich Dein Gesicht sehen wollte. Du solltest noch einmal Angst um mich haben. Doch Du wurdest so schnell klein. Sterben kann auch ein Traum sein. So wie ich bin, war ich in Deinem Leben. Nun gehe ich raus da, wie Du wolltest. Wenn Dein Wille zu Dir, stärker ist als Dein Wille zu mir, dann lässt Du mich fallen. Jetzt. Nein, das ist kein Selbstmord, keine idiotische Rache. Ich falle einfach. Lass es mich doch tun. Ich falle nicht wegen Dir, selbst wenn Du mich gestossen hättest. Und auch nicht wegen mir. Ich will fallen. Endlich. Nicht weil mir das Gerappel zu viel wird. Nein, weil ich fallen will und neugeboren werden. Es muss schon der Hades oder dergleichen sein, durch den ich gehen muss. Fallen. Aus allem Wollen fallen.Und es wird wieder einer kommen, der wird Dich kennen, wie ich Dich kannte. Der wird Dich nicht verstehen, doch wissen was mit Dir los ist. Der wird es lieben unter deinen Auswirkungen zu leben. Vielleicht bin ich es ja. Doch ich werde ein anderer sein, denn dazwischen liegt ein Tod von mir. Erst wenn ich aufschlage, weiss ich, wie ich anders leben will. Versuch in meiner Blutspur zu lesen, wie es weiter geht. Falls es Dich interessiert. Denn wenn ich Dich störte, dann soll es so bleiben. Dann gehe ich bei unserer zweiten Begegnung in Deinem Leben an Dir vorbei. Dann gibt es uns nicht mehr. Auch wenn Du mich liebst. Der Brief ist ein Schrei, doch ich kann nur neugeboren der Mann Deiner Liebe sein. Drunter mach ich es nicht. Kein Verhandeln. Fliegen lernt wer nicht fallen will. Und Scheitern wer nicht fallen kann.Und sehe den Grund vor mir, in den ich mich gleich bohren werde. Die Aare ist nicht tief. Wenn ich jetzt sterbe, geb ich Dir Liebe für ganzes Leben mit. Und will es nicht. Du musst mich töten, wie ich Dich jetzt für immer lösche. Entkommen können wir uns nicht. Untote Wiedergänger werden wir uns sein. Egal wo Du bist, egal mit wem ich`s treibe. Du solltest Deine Liebe töten, nicht mich. Gleich bin ich da. Wo bleibt der Film? Das weisse Licht? Ich sehe nur Dich, Deine Augen - als ich für Momente ahnte wer Du bist. Als wir den Fehler machten, zu glauben, eins zu sein. Da wollte ich mit Dir alt werden und bin es neben Dir geworden. So schnell, das ich jetzt sterbe. Den Grund erreicht man nie im Traum. Doch tot werden wir uns sein.Morgen früh.

Warum nun doch?


In diesen Tagen vor zwei Jahren begann eine Reise, an deren Ende das seit elf Monaten verheiratete Paar kein Paar mehr war, wohl aber noch verheiratet. Plötzlich sass ich allein in meinem leuchturmartigen Ausblickzimmer über dem grünen See und entschloss mich, gerade den Boden unter den Füssen verloren, ein Weblog: „Der Traum vom grünen See“ zu beginnen. Mir war ganz am Anfang dieser sehr schmerzhaften Trennung klar, ich würde verarbeiten müssen, mir war auch klar, dass meinem Wesen entsprechend, am Besten schreibend in einer Semiöffentlichkeit zu tun, ich wusste ich würde schreien müssen. Und schreien funktioniert nur, wenn einen jemand hört. Vielleicht waren diese ersten die schlimmsten Tage, ich ahnte unbewusst die Schatten der Berge, die über mich stürzen und das Tal und seinen grünen See verfüllen würden. Die Katastrophe fand statt, die Lawine war ausgelöst, doch es rollten erst ein paar kleine Steine. Aber sie rollten und es wahr mehr zu ahnen als vorherzusehen, was weiter geschehen würde.Der Bergsturz dieser Beziehung und Ehe würde keine reparablen Teile übrig lassen. Ich sass plötzlich allein auf einem der schönsten Flecken der Welt und wusste, dass wir unter meiner Initiative unser ganzes Leben auf diesen Ort ausgerichtet hatten, war ein Fehler. Wir waren zu früh im Ziel und mussten nicht mehr laufen. Noch ein bisschen Lockern höchstens. Genau wie ich das brutale Ende nicht wahrhaben wollte, konnte ich akzeptieren, dass nicht nur die Liebe, diese Scheissehe, sondern eben auch mein Traum vom grünen See kaputt ging. Ich hätte es vor zwei Jahren bis aufs Messer bestritten, aber im Titel geplanten Blogs kann man das unbewusste Ahnen schon lesen. Ich wohne seit einem Jahr nicht mehr über dem grünen See.
Aus dem Blog wurde nichts, ich ergriff eine andere schon erprobte Massnahme, und schrieb mich in ein Literaturforum ein. Mit nur Tagebucheinträgen würde ich nicht reichen und in diesen Foren kam man schneller ins Gespräch. Und wie. Es war alles wie immer, nicht im Handstreich und nicht umfassend, aber nach kurzer Zeit wirkte ich dort, wurde gelesen und besprochen. Und es geschah, was ich vier Jahre vorher schon einmal erlebt hatte, ich gewann rasch neue Freundinnen und Freunde, traf virtuell Gleichgesinnte, das Forum wurde Tage und Nächte füllend, ich schrieb für ein direktes Publikum und mit Erfolg. Gleichzeitig war ich Publikum und gezwungen mich mit anderer Leute Texten auseinanderzusetzen. Anfeindungen bleiben da nicht aus und es kam wie immer, nach einer Nacht der langen Messer, gab es plötzlich ein neues, eigens Forum. Die „Lärmende Akademie“, die ich mir im Vorfeld mit Michael Perkampus ausgedacht hatte. Sie wurde sein Baby, Wiege und Hort für sein unglaubliches Sein und Wollen. Perkampus, der Hochbegabte, das Genie, der unbedingte Avantgardist, der Exzessor, der Naturpunk wird an anderer Stelle noch ausreichend besprochen werden. Früh stieg ich wieder aus, da ich letztlich mit Bürgerblei an den Füssen, Mühe hatte, mit meinen eigenen Höhenflügen klarzukommen. Keine Chance seinen Irrsinn mit zu tragen, der letztlich ganzer Mannschaften von Bodentruppen bedarf. Meine Texte, damals inspiriert wie eigentlich nie vorher, hinterliessen Wirkung, vor allem bei Frauen und bei einigen sehr starke. Mit den Folgen dieser Wirkungen hatte ich mehr zu tun, als mir eine ernstzunehmende Arbeit in der Akademie erlaubt hätte. Es waren über tausend lange Mails die innert zwei Monaten im Hintergrund des Forums zwischen mir und einer Dame hin und her gingen. Schreiben bis zur Lähmung am Computer. Ein Effekt hatte das auf jeden Fall, ich überwand, übersah oder überging die Niederungen der Trennung, das Scheitern eines Lebensplanes.
Perkampus fand in dem Forum seine Ehefrau, mit der er heute in Heidelberg lebt. Mir begegnete dann Conny, die schrieb wie Heiner Müller, ohne das sie ihn kannte und wegen der ich in den letzten Jahren mehr Kilometer auf deutschen Autobahnen verbrachte als Stunden im Netz und beim Schreiben. Und ich bereue keinen. Conny war die Einzige, die Perkampus fachlich widersprechen und Paroli bieten konnte. Auch sie wird in diesen Logtexten sicher häufiger vorkommen.
Hier vielleicht eine erste Entschuldigung bei Perkampus, in meiner schlimmsten persönlichen Krise war ich auf gar keinen Fall in der Lage, auf Dauer so viel Verantwortung in einer Akademie zu tragen, die sich ganz ernsthaft Avantgard beschäftigte und unheimlich gute Autoren wie Honig den Bären anzog. Avantgarde bedeutet zwingend auch, die Gegenwart, ihre Wirklichkeit und vor allem die Darstellung derselben ganz prinzipiell zu überwinden. Da ist mein Ansatz anders. Ich schleppe angeborenen Opportunismus mit und ehe ich auf dem Gipfel angekommen bin, war Perkampus schon wieder abgestürzt.
In dieser Zeit der Foren und des unterlassenen Blogs entstanden Texte „Sterben lernen“, die nach einigen Gesprächen mit Psychologen, mein Weiterleben nach einem symbolischen Tod garantieren sollten. Praktisch, spiessig, sparsam wie ich manchmal bin, sollten sie gleichzeitig Kernmonologe eines Theaterstückes sein. Viel später und nach der Akademiezeit entstand auch wirklich ein Stück, indem diese Idee als eine von vielen verarbeitet wurde. Dieses Stück ist ein Totentanz und handelt für eine der vier Personen nach dem Sprung von der Brücke. Im Kern geht es aber um die „Ikarusoperation“ von Zürich, obwohl auch diese nur einen Impuls gab. Die wahren Hintergründe der Geschehnisse dort, sind immer noch Inhalt staatsanwaltlicher Untersuchungen und werden von mir weder gekannt oder gar verarbeitet. Bei einer ersten Abgabe fiel das Stück durch und nach einer längeren Pause, diversen Reisen e.t.c. habe ich es nun wieder in den Händen und bearbeite es derzeit stark. Mittenrein in diese Arbeit an Gesprächen frisch Verstorbener und einer Selbstmörderin, hatte ich ein Erlebnis, welches mich stoppte und darauf brachte, dieses Erlebnis tagesaktuell zu beschreiben, in einem Weblog. Und dann folgende Erlebnisse, und daraus eine Art Werktagebuch werden zu lassen. Wenn man schreibt, hat alles was man sieht mit dem Schreiben zu tun. Darüber will ich berichten. Das eigentliche Weblog beginnt also am 12.Mai 2006. Doch vorher, um den Zusammenhang zu zeigen, der Text Serben lernen 1, der letztlich Anfang von so vielem war. Es geht nicht darum, alte Texte noch mal zu verbraten, aber wo sie passen, werde ich sie einfügen.