Freitag, 30. Juni 2006

Die Rosine im Bett

Im COOP verkaufen sie momentan Studentenfutter kiloweis zum halben Preis. Auch ich bin da darauf reingefallen und fresse mich nun daheim durch Berge von Nüssen und Rosinen, manchmal auch im Bett. Als ich gestern heimkam, fand ich in der Mitte meines zerwühlten Lakens eine einsame Korinthe. Kurz bevor ich sie mir in den Mund steckte, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf.

Hatte ich die nicht schon mal gegessen?

Mittwoch, 28. Juni 2006

Wofür ist eigentlich ein Bidet gut?

Retroschaufenster einer Drogerie in Florenz.

Ich stehe auf Marsiglia in allen Variationen und fahre schon deshalb einmal im Jahr nach Italien. In Marseille war ich dafür nie.

Ich kannte mal einen sardischen Pensionär, der mir seine zwei Häuser stolz vorführte. Sie waren das Resultat von vierzig Jahre Büez in Zürich. Seine drei Töchter waren noch dort, die Häuser standen viel zu gross und leer auf der Insel. In einem der beiden gab es für ihn und seine Frau separate Badezimmer in denen jedes ein Bidet hatte. Ich musste gar nicht fragen, er sah meinen Blick und erklärte mir die Zusammenhänge zwischen sardischer Hitze, sardischen Speisen, der daraus resultierenden Körperfülle und eben der einzig wahren Hygiene.

Auch in einem Teil meines jetzigen Lebens spielt wieder ein Bidet mit. Diesmal soll es abgerissen werden, da es in Norddeutschland steht und keine reinlichen Italiener da sind, die es benützen könnten.

Unbedingt passender Hörtipp: Pippo Pollina: "Weg vo Züri"

Mittwoch, 21. Juni 2006

Zirkonia hat gesagt

Ich finde nicht
Die tönenden Farbschimmer


Mein Gesicht
Ist augenlos


Fern der Berührungsfläche
Öffnet sich der Boden


Neben den Schritten
Klaffen rechteckige Spalten


Körperloser Gang
Durch Zerrbilder von Straßen


Milchige Schlieren
Verhindern den suchenden Blick


Innenansichten
Sind nur Bruchstücke


Durchzogen
Von Zerrbildern des Tages


Und denen der Nächte
Lautlos


Ich treibe umher
In der Zerstückelung


Da ist kein Widerstand mehr
Gegen das Fehlen


Unfassbar
Ich kann mein Gesicht nicht finden

Samstag, 17. Juni 2006

Wir Metzgerssöhne

Wegen akuter Reisekrankheit ein älterer Text, geschrieben für die Akademie.



DIE LÄRMENDE AKADEMIE PRÄSENTIERT:

Götz Schwirtz

Wir Metzgerssöhne

Alles kann der Mensch tun. Jeder. Jeder Mensch kann alles tun.
Jeder Mensch kann alles verdrängen. Jeder. Alles kann der Mensch verdrängen.
Das macht uns so gefährlich.
Wir können vergessen,
getötet zu haben
und töten immer wieder.
Mit dem reinsten Gewissen.

Am Grad zwischen Himmel und Hölle, zwischen Sein und Wirklichkeit, auf der Naht durchs Land, die hier eine Fieberkurve und kein Tellerrand ist, an diesem deformierten Horizont, auf dem ich wohne, erreicht mich eine Nachricht, erreicht mich Deine Nachricht. Trifft mich. Lässt mich kippen, stürzen von dem Strich auf dem ich ging, dem Seil das anderen die Sehnsucht ist, durch Dich hindurch, doch sei mir Boden. Denn weder Himmel noch Hölle nehmen mich auf, schliessen mich ein, weiten mich, lassen mich sterben. Nein, es sind deine Unwirklichkeiten, in die ich falle. Schön wäre die Ladung in einem Drogerieladen.
Haben sie Zeckenpinzetten? Doch der verspätete Versuch, dich mir aus dem Hirn zu drehen, würde meinen Gedankenbrei ausfliessen lassen, bis nur noch Regeln da sind. Gesetze aus dem Nichts. Gehalten wird die Götterspeise „Ich“ nur vom Netz der Beisskanäle in meinem Kopf. Du bist nicht die Erste.
Aber wenn ich nicht aufpasse, die Letzte.
Wo lande ich beim Fall in Dich? Die Pinzette brauche ich nicht und werde Dich aus mir quetschen müssen. So lange an deinen Löchern saugen, bis du ausser Dir bist und Platz für mich machst. Da wirst du schreien, das sag ich dir.

Zwischen zu viel und nichts bist Du. Wie wir alle. Lass uns auf diesem „Zu“ tanzen bis Asche unter unseren Sohlen stäubt. Wir sind nicht „zu“. Nichts lässt sich mit uns vergleichen. Ausser wir uns miteinander. Setz Dich auf mich, verhalte Dich nicht mehr. Nimm mich, bevor ich mich Dir geben kann.
Doch ich bin hier der Mann und Du zu holen. Wo bitte, finde ich Dich?
In der Pusztasosse? Im Brooklyngum? Die ganze Welt ist voll von dir, seit ich weiss, ich habe Dich, ohne Dich zu kriegen.

Haben sie einen Lappen, Frau Delon? Ich tropfe Ihnen hier die ganze Metzgerei voll. Ja ich brauche Fleisch, kein Hack. Was hängt denn da an Ihren Haken? Nein keine Kreuze bitte, ich mag nicht Kutten heben um zu leben. Ja Deutsch sein ist ein Schicksal, aber längst nicht mehr meines. Wissen Sie, Frau Delon, wenn ich lasse, es zu lassen, wie ich es gerne würde, stirbt sie an meinem ungelebten Leben. Frau Delon, na sie kennen das doch. Was war mit der Mutter ihres Enkels? Nico – Icon, tot am Strand. Die schöne Sängerin ohne Stimme, die erst ihre Schönheit sterben liess und dann sich. An einem Sonnenmorgen am Strand.

Ja, von der Zunge nehme ich, Frau Delon. Und fahr mir damit durch die trockenen Stellen. Hinter den Ohren und so, sie wissen schon. Ja, Blut braucht es auch. Füllen sie mir ein paar Tropfen in diesen Eimer hier. Ich werde es ihr von allen Lippen lecken und in den See spucken, bis er braun ist, mein Traum vom grünen See.
Nur Tröpfchen braucht es für die Spiele. Leben soll sie, fröhlich, so wie sie jetzt an ihrem Haken vor den Fliesen zappelt. Rotbäckig, sprudelnd, warm. Wie sollen sich Ihre Schwämme füllen, wenn Sie blutleer ist? Und wenn sie zu wenig hat, dann gebe ich von mir.
Ich platze gleich.

Ja Frau Delon, eines Tages wird sie lieben, dass ich sie kenne. Und ich werde ihr schmecken. Ich Honig des Lebens aus Sperma, Blut und Tod, überall in ihr, an ihr, auf ihr. Mein Fleischgericht wird mich verzehren. Das gibt es nur in ihrem Geschäft, die Wurst die einen selber isst.

Bezahlen kann ich nur mit Gefühlen aus Nichts. Nichts was wir sind existiert. Sehen sie in den Taschen meiner Sehnsucht nach, die nackt an ihrem Haken hängt. Ich bezahle mit den Gefühlen, die meine Sehnsucht für mich hegt. Doch das tut sie, Frau Delon, sehen sie genau nach, sie finden sicher was. Sie MUSS erst hegen, was sie später abknallen wird.

Wenn es nicht reicht zum bezahlen, dann nehmen sie doch die Kreditkarte der nächsten Kundin. Ich brauche jetzt mein Fleisch! Es singt und schreibt für mich im Morgengrauen. Ich weiss das nicht und lache, liebe, schreie am falschen Ort. Den gibt es nur, weil es sie für mich nicht gibt. Tja Frau Delon, nicht so moralisch, sie hängt bei ihnen am Metzgerhaken statt an mir. Wenn sie den Morgen anheult, sitze ich in einem fremden Wintergarten, der mir gehört, erschöpft von einer fremden Frau, die mir auch gehört und paffe Nebel in das Glashaus und fühle mich so stark, so frisch geschwächt. Sang da wer im Innenhof?
Frau Delon, wenn ich ein fremdes Universum ficke, ist sie die Uhr die knallt.
Und sie weiss das, sehen sie nur, wie lustig sie da zappelt und sich an den altweissen Kacheln abstösst. Wir sind gezwungen mehr zu glauben als wir sehen oder aber sehen wir mehr als wir glauben können. Wer weiss das schon? Das was ist, ist zu wenig. Schon einzeln sind wir mehr. Einzeln sind wir mehr als zwei? Das kann sein, denn ab der vierten Dimension ist man sich nah befremdet.

Und Zeiten, Frau Delon? Wie sieht es aus mit frischen Zeiten? Mit besseren? Wenn`s geht am Stück. Am Besten gerade im Block. Ja, ich brauche viel davon, um aus diesem Nichts noch weniger zu machen. Tage, an denen nicht zu unterscheiden ist,

WERsingt, WERliest, WERtanzt, WERspricht, WERweint, WERschreit, WERstirbt
WERweiss

Und reite alle Pferde, die sie ist, in alle Himmel gleichzeitig. Darum packen sie viel Zeit in die Tüte. Denn sie ist alle Richtungen und ich muss gleichzeitig überall hin. Sie Metzgersfrau werden das verstehen. Aus Zeit mach ich die Strahlen, die nach überall hin von ihr weisen. Aus ihrer Zeit Frau Delon, mache ich sie zur Sonne.

Das gibt eine Sauerei! Sind sie froh, Frau Delon, dass ihr Sohn ein alter Mann geworden ist. Die Wäsche, ich sage Ihnen. Stellen sie sich vor, mein kleinster Nukleus schmilzt in dieser Sonne, auf deren Strahlen ich überall hin, nur nicht fort komme. Kernfusion des Blutes aus Eis. Wie die letzten zwei Minuten Time after Time Live mit Miles. Der stille Untergang der Welt. Einer Welt. Meiner? Ihrer? Das ist noch nicht entschieden.

Denn sie mag mich nicht. Und das ist gut, Frau Delon. Sie soll mich lieben oder hassen, niemals mögen. Das ist der Killer. Sie, deren Schizophrenie vor mir klafft wie eine nasse Vulva, soll mich um ihren Tod nicht mögen, wenn ich fülle was offen scheint.

Und weil alles gut kam, ist Heiner auch mit da. Der ist immer bei mir und da wo ich bin kommt immer alles gut. Auch der Tod kann ja Erlösung sein. Also Heiner sagt:

NOCH MEINE ASCHE WIRD NACH DIR SCHREIN

Vielleicht ja auch nur die, denn aus dem Rahmen können wir nicht fallen. Fassen kann uns längst keiner mehr. Nicht mal wir uns selbst.

Also Frau Delon, danke für das Gespräch, sie können das Hörgerät nun wieder anschalten, ich bin fertig. Ja, geben sie sie mir ganz mit, ich mache sie zu Hause klein.
Und grüssen sie ihren Sohn von mir. Er kennt mich nicht, aber seinem Coiffeur habe ich schon mal ein paar in die Fresse gehauen. DAS verbindet.

Donnerstag, 15. Juni 2006

Ein Gedicht von Zirkonia - Zeit ist . . .

Hole ich aus den Kommentaren. damit es dort nicht untergeht.




Zeit ist

eine ruhige Gewissheit

im Vergessen

holt sie Atem

für das Neue



Unendlich

dehnt sie sich aus

vorwärts und rückwärts

im Alleingang

ohne uns zu fragen



Sie trägt

unsere Tagträume

davon

wir sehen nur die Zukunft

im Vergessen



Nur sie kennt

die Bilder

der Vergangenheit

wirklich

uns bleibt das Erinnern



Verschwommen

in der Realität zurück

manchmal im Nebel

des Herzens

am schmuckvollen Band



Mit Fassung getragen

Dienstag, 13. Juni 2006

Hamburg war`s

Ich habe eine Freundin in der freien Stadt, die jetzt in einer verbindlichen Beziehung lebt, die zu inspizieren Grund einer Reise gewesen wäre. Oder eine, die über die Anthologie lacht, in der meine einzige Veröffentlichung des Vorjahres steht. Auch hier wäre ein Besuch in Eppendorf angebracht gewesen. Zur Zurechtweisung. Wobei auch ich über jede Anthologie lache, in der ich nicht selbst stehe. Es kam anders.

Wenn ich nicht ins platteste Niedersachsen reise, wo selbst die Badeseen bei dreissig Grad Hitze deprimierend sind, oder Herzen in der Hand halte, oder Fussball gucke, schreibe ich. Nach dem abgeschickten Stück nun ein Kriminalhörspiel, das, so die Vorgabe, in Hamburg spielen muss. Ich habe einen guten Teil Lebenszeit dort verbracht, bin früher bei Abreise fast gestorben, was letztlich Anlass für einen Roman wurde, der misslang. Ich hatte keine Beziehung in der Stadt, umso mehr zu der Stadt. So ging mir auch, nach allerlei Entwürfen, die einen Schreibtisch decken, der eigentliche Krimi gut von der Hand. Zu gut - der enge und sehr übende Rahmen der Hörspielvorgabe wurde grundlegend und fortlaufend gesprengt, was auch den jetzt fertigen Haufen Papier zur Vorarbeit macht.

Während des ganzen Stückes, das an einem Sonntagmorgen spielt, kreist ein Blimp über der Stadt. Das ist der Clou, den ich hier verrate, der Kommissär steht immer wieder an Punkten während seiner Gespräche und Verhöre, an denen er einen entführten Blimp beobachten kann, der von Finkenwerder kommend, letztlich über Altona, dem Kiez und der Norderelbe kreist. Der Blimp ist leer, es handelt sich um Mord.

Da der Herr Kommissar zwingend in Altona vorbei muss, so eine der Vorgaben, und ich nur Stellen beschreiben kann, die ich kenne, ergab sich ein bestimmtes Revier in dem das Stück handelt. Und so hatte ich gestern einen "inneren" Auftrag, fuhr mit konkreten Zielen in d i e Sehnsuchtsstadt, denn ich musste konntrollieren, ob an den Stellen, an denen mein Stück spielt, am Himmel wirklich ein von Altona kommender Blimp zu sehen sein könnte. Kurzum, ich muss viel ändern, aber es geht. Befriedigend war die einleitende Autofahrt durch die Häfen, da soll er herkommen und das geht wirklich.

Statt vernünftig zu Parken und Riden fuhr ich der Nase und der Elbe nach, kreiste dreimal einen Weg von Altona zum Kiez, fand in Altona auch einen originalen Startpunkt für die Story und hatte immer Dächer im Blick, die schön und prominent genug waren, um bei mir mitzuspielen. Ich landete wie von selbst am Millerntor, parkte und stand plötzlich und etwas überrascht auf der geilen Meile. Denn die kenne ich wie die meisten nur im Vollrausch. Seitdem ich nicht mehr trinke war ich oft in Hamburg, doch nie mehr aufm Kiez. Wozu auch? Nach neun Jahren stand ich erstmals wieder auf der Reeperbahn. Mittags um eins bei dreissig Grad. Man muss es nicht kurz machen, denn das Geviert in dem sich Zigtausende Wochenende für Wochenende gehen lassen, ist kurz, dafür aber erstaunlich breit. (Lindenberg: Meine Tage sind gleich lang, aber verschieden breit.) Im Grunde war das, was ich für den Ort meiner ausgelassensten Freiheit hielt, gestern im gleissenden Licht mit einem Blick zu übersehen.

Auch wenn im Licht alles anders wirkt, die Boulevards leer waren und manche neue Fassade (Schmitts in rotem Glas!) verwirrte, fand ich mich sofort zurecht. Cafe Keese klar, da über die Strasse, da war schon die Wache, daneben Schmitts Tivoli. Aja, das liegt nebeneinander, wusste ich nicht. Grösser noch meine Überraschung: das Angies gehört zum Schmitts. Ich war da manchmal mit Kerstin, wunderschöne wenn auch völlig trunkene Abende. Immer mit Geschichten, die heute letztlich in dem Hörspiel münden. Weisst du noch, der Tänzer aus New York? Ja genau, der spielt immer noch mit, wie auch der Blimp, der nur nicht mehr Orange ist, sondern jetzt Reinweiss. Vor dem Angies ist der Boulevard heute fast fünfzig Meter breit und versehen mit zwei gegenüber liegenden Vattenfall Bühnen, die verschieblich sind. Wozu weiss ich nicht. Vielleicht tritt auf der einen ein Feuerspucker auf, wenn Udo nächsten Winter dort endlich in Badehose singt, wie ich es ihm vorschlug um auf die frierenden Kashmirkinder aufmerksam zu machen.

Ernüchternd, wie kurz die Wege nüchtern sind, die früher wie ein Wandeln am Rande eines brennenden Styx waren. Dann der Hans Albers Platz. Ort meiner bis heute eindrücklichsten Alkohol und Drogenerfahrung. Dort schwamm ich mal früh um fünf zwischen Hunderten Menschen in einem dunklen Traum, nachdem ich mich noch heute manchmal sehne. Unglaublich aufgehoben. Das erwachen unter lachsfarbenen Vorhängen in Bramfeld war wie Auftauchen aus der Dieselbracke des Abscheidebeckens eines Panzerabspritzplatzes.
Gestern drehte ich mich fotografierend einmal um mich selbst, wie der Tourist der ich heute bin und damals auch schon war. Ich sah es nicht, erkannte auch nicht, aber fühlte genau die Stelle, an der ich damals diesen schwarzen Flash hatte und stand genau wieder auf ihr. Ein wichtiger, denn dunkler Punkt in meinem Leben.

Ich kam nicht lang dazu, in alten, vermeintlichen Träumen zu schweben. Man trifft dort Leute, wird angesprochen, aufgefordert, angebettelt. Neben einer Hartz 4 Geschichte, einigem über Trinkverhalten und Schiessereien, fiel das Wort Ballermann. Das verdarb mir die Laune, weil es den Nagel auf den Kopf traf. Mein Aufgehobensein im Bodenlosen war der Ballermanneffekt. Völlig sinnlos betrunken unter völlig sinnlos Betrunkenen, die nüchtern genau so eng und ängstlich, sich selbst beschränkend wie ich waren. Ein Moment der scheinbaren Freiheit. Eine alkoholische Täuschung. Das ging mir durch den Kopf, als ich meiner Story folgend, die verschiedenen Wege zur Hafenstrasse abging.

Beim Hotel Imperial gibt es ein Kriminaltheater. Ich schmiedete Pläne und fuhr, ohne meine Freundinnen getroffen zu haben, mit Sonnenstich, Bluthochdruck und zerstörerischen Gedanken zurück nach Deprisachsen ab.

Das ist die einzige Form von Selbstmord, die ich mir gönnen würde. Wieder saufen anfangen und in die Spelunken auf dem Kiez einziehen. Da ich dieses Romansujet eventuell noch zum Leben brauche, verschenke ich es diesmal nicht.

AHOI.

Sonntag, 11. Juni 2006

S C H W E R

ist es

an einem Tag

mit dreissig Grad,

launigen Ausländern an jeder Raststätte

die trotz 0:0 oder schlimmer

fröhlich sind

und Deutsche nett sein lassen;

mit der Aussicht auf einen Badesee

im Körper die Erschöpfung vom letzten

SCHREIBWOODSTOCK,

einem HERZ in der HAND und

einem Tag Sonnenraserei mit ZiffZeZiff - BUM-BUM

und einer unerwartetenen Grillparty

(aufbauend auf einem Käsekuchen)

in Osnabrück

wo man italienische Kinder trifft

was Hoffnung macht,

am Blog zu bleiben.





Doch bleiben sie dran, denn hier passiert nichts.

Mittwoch, 7. Juni 2006

Glück


Solang du nach dem Glücke jagst,
Bist du nicht reif zum glücklich sein
Und währe alles Liebste dein.

Solange du nach Verlorenem klagst
Und Ziele hast und rastlos bist,
Weißt du noch nicht, was Friede ist.

Erst wenn du jedem Wunsch entsagst,
Nicht Ziele mehr, noch Begehren kennst,
Das Glück nicht mehr mit Namen nennst,

Dann reicht dir des Geschehens Flut
Nicht mehr ans Herz - und deine Seele ruht.
(Hermann Hesse)

Dienstag, 6. Juni 2006

Die Bands der Jugend - Eine Phänomenologie

Schon der Popressor und Exlehrer Kunze hat darüber vor zwanzig (!) Jahren nachgesonnen und gesungen, warum wir eigentlich die Bands unserer Jugend letztlich hassen, besonders wenn wir sie live sehen.

Nun, sie werden genau so alt wie wir.

Sie hassen uns, weil sie seit zwanzig Jahren die selbe Clownnummer geben müssen, ohne die sie sich aber das Leben nicht leisten könnten, um das wir sie angeblich beneiden. Mir fällt der Kunze immer wieder ein, weil er a.) ein Klugscheisser ist und b.) Recht hat. Unsere Bands die unsere alten Hits singen, zeigen uns, dass die Jugend vorbei ist. Für sie wie für uns. Das kann hart sein. Ausserdem fragt man sich in den weichgespülten Best of Versionen, wer dieses Zuckerzeug eigentlich noch mag.

Perkampus, der Naturpunk, der Peter Doherty der Literatur, kann mit Süsspop, Pseudo und Kommerzpunk noch weniger anfangen als ich. Ich erzählte ihm von Dave Gahan in Basel und wir sahen uns auf einer Konzert- DVD an, wie der drahtige Derwisch auf Akustikinstrumente tanzte. Sowas sieht man selten, der war des Teufels. Voll auf Droge und die war zu diesem Zeitpunkt er selbst. Kurz drauf gab es nach Jahren die ersten Depeche Mode Konzerte und wir planten, das mal live zu sehen.

Gut bekamen wir Krach. (Perkampus hat die Akademie nicht gefegt, und ich habe auf den Gang vor der Aula gekackt.) Zerstritten gingen wir nirgends wo hin und hingen uns gegenseitig auf. Zum Glück.Gestern Nacht sah ich in einer Arbeitspause ein DM Konzert vom Hockenheimring. Oh Gott. Gahan bis zum Schluss im Anzug und an sonsten alles zuckersüss und zähflüssig, laut und bumm und fünf Leinwände. Huch waren die schief aufgehangen! Hui, Hui, Hui. So eine Scheisse habe ich lange nicht gesehen und musste abschalten. Immer wenn ich das tue, wie beim Lindenberg auch schon, muss ich an den Kunze denken, der ja auch noch Livekonzerte gibt. Obwohl ich oft in Osnabrück bin, sah ich ihn noch nie. Wurde aber im Angies in HH vor über zehn Jahren mal für ihn gehalten.

Das alles gilt für Holger Biege nicht!

Falls Auskenner hier mitlesen oder Mitleser sich auskennen mal eine Frage:

Ist das eine ganze Octave die Gahan heute tiefer singt? Weiss das wer?

Montag, 5. Juni 2006

Nach der Krone bückt man sich nicht!

Das sind jetzt die Tage, der frühe Sommer lässt die Hoffnungen fliegen und die Schatten steiler werden, da, in so schönem Beginnen begann das Ende, welches im ersten Post umschrieben ist. Darüber wollen wir heute nicht jammern, gerade diese Tage sind wundervoller Beweis dafür, dass ich zum bessern überlebt habe. Was immer das heisst. Hier ein Gedanke in dem meine werdende Exfrau zumindest mal vorkommt.
Ich war Anfang Jahr in Kalifornien. Wunderbar das Gefühl, aus der Kälte geflohen, eine Freitagnacht in Hemd und Jacket auf der Mainstreet von Santa Monica zu feiern. Dort macht ein gewöhnlicher Wochendendeinstieg wozu man in Basel mal die Aktion „Usestuhle" erfunden hat. Und das hiess nicht: „Aus dem Fenster scheissen." Um es kurz zu fassen, mein Kollege und ich gerieten in ein spontanes Strassenfest.
Zum Dinner im Freien hörten wir ein Gitarrenkonzert, es waren Themen und Läufe die die halbe Menschheit und ich von „Friday Night In San Francisco" kannte, nur schneller gespielt, wesentlich schneller. Wir sahen einen spontanen Hip - Hop Kontest und später zwei lange milchkaffeefarbene Jungs, die zu den verstärkten Klängen ihres I-Pods tanzten. Ein Traum in weissen Smokings.

Mein Kollege Peter, wir waren eine Zufallsminireisegruppe und kannten uns vorher nicht, entwickelte im Verlauf des Abends den Wunsch, zumindest auch in ein amerikanisches Kino gegangen zu sein , wen wir nicht noch den Schuppen am Pacific auftun würden, was wir nicht taten.
Ich war einverstanden, denn ich hatte gesehen, was auf dem Nachtprogramm stand. Wir mussten uns einigen und da für mich Filme mit Nummern hinten dran nicht in Frage kommen und er auf gar keinen Fall einen Film über den Privatmann Neil Young sehen wollte, einigten wir uns auf „Capote", womit ich sah was ich sehen wollte. Ich kann ihn nur immer wieder empfehlen.
Ich staunte, wie viele aus der Partystimmung draussen, nachts halb eins noch in einen Kinosaal flüchteten, manche augenscheinlich nur zum Schlafen. Auch Peter der Arme nahm eine Mütze voll. Mir ging der Hoffmann wie öliger Mocca runter, auch wenn ich bei dem Genuschel und Getunte längst nicht alles verstand. Das Wort bizarr, hier passt es mal, wie Hoffman den Capote zischelt.

Auf dem Heimweg, auf dem ich Philip Seymour Hoffman schon mal den Oskar verlieh, erstarrte mein wiedererwachter Freund plötzlich. Sein Hut! Den hatte er vor ein paar Tagen aus dem Koffer gezaubert, nachdem ich ständig einen neu gekauften aus dem Levisstore trug und mir unendlich cool vorkam. Kein Hut, eine Cordmütze, gesenkt, gezogen aus einen Haufen an der Kasse, meine Freundin kann sie nicht leiden, weil ich damit wie einer der Russen aussehe, deren Eltern die hässlichen Häuser an Niedersachsens Waldränder bauen. Ganz anders die meines Freundes. Ein edles Filzteil, doch, doch - schon fast ein Hut. Im Verhältnis wie sein neuer TDI zu meinem zwölf Jahre alten Passat. Und dann noch aus Europa eingeschleppt! Ab da liefen zwei coole Mützen rum.
Jetzt aber war ich müde und erklärte ihm auf dem Weg zurück zum Kino, wie idiotisch es sei, sich früh um drei vor ein geschlossenes Kino zu stellen und um seinen Hut zu weinen. Ich wäre niemals zurück gegangen. Er aber erfuhr zumindest, wann am nächsten Morgen die nächste Vorstellung begann. Putzen würden sie ja vorher. Selbst die Skyscraper sind in Santa Monica weiss.

Am nächsten Morgen kämpfte er sich, während ich schon fette Bagel frass durch all die spanisch sprechenden Putzleute und tatsächlich, er kam nach einer halben Stunde freudestrahlend aus dem Kino zurück. Mit seinem Hundertfranken Filzcap auf dem Kopf. Er hatte recht behalten und mir fiel auf, dass ich, wenn nicht der Zufall mich noch mal an diesem Kino vorbeigeführt hätte, niemals dahin zurückgekehrt wäre, nur einer Mütze wegen.

Und da war plötzlich die Frau in meinem Kopf, die tatsächlich bald meine zweite Exfrau wird. Mir kam eine ganz frühe Geschichte aus Basel in den Sinn. Frisch verliebt gingen wir in das Stattkino um uns einen Frida Kahlo Film anzusehen. Nein, nicht den schönen mit der Hayek. Nein, so etwas Schwarz - Weisses, den Vorgänger für die richtigen Fans, zu denen meine Frau zählte. Trotzki spielte in dem eine sehr wichtige Rolle. Was ihn für einen ordentlichen Linken zum Geheimtipp macht. Schwarz - Weiss und Trotzkis Bart reichen noch nicht für einen guten Film. Ich hingegen trug einen schönen Hut, über den ich ihr Romane erzählt hatte, er hing mit anderen Amerikageschichten zusammen und man sah ihm wirklich an, dass er aus New York stammen musste. Durch diese Tage damals ging ich mit der Lockerheit des Zuchstiers oder aber der seines Herren, o- beinig in roten Hosen, vor Coolheit kaum laufen könnend, wie Django nur ohne Revolver. Ich glaube ich hatte mit Mitte dreissig schon meinen dritten Frühling. Jedenfalls war auch nach diesem Kinobesuch, wo mich die Rüschenbluse der Frau neben mir, die Frau Hayek gar nicht so unählich war, am meisten von allem fasziniert hatte und ich dummes Zeug über den dicken Rivera erfand, plötzlich mein toller New York Hut weg. Kein Gedanke daran, umzukehren, sie hatte zugehört und nahm den Hut wichtig, ich wollte nur heim, nur ins Bett, die Rüschenbluse entfernen.
Ich wusste damals noch nicht, dass sie niemals drängte, drückte oder zwang. Weder sich noch andere. Sie fragte einmal abends, noch einmal am nächsten Tag, ob ich denn nicht nach dem Hut wolle, dann nie wieder. Mir ist so was dann auch noch peinlich, so im Kino nach dem Hut fragen. Weiss doch auch nicht warum. Ich gab ihn verloren. Weg ist weg. Er gehörte ja auch zu einer anderen Frau, eine Beziehung vorher.

In Santa Monica fiel mir die Geschichte wieder ein. Den Hut habe ich vermisst, aber sich wegen einer "Sache" mühen? Erst dort, sechs Jahre später ging mir langsam auf, was meine Frau an diesem Abend an mir gesehen hatte.
Mein neuer Freund Peter hätte niemals soviel über seine Mütze geredet wie ich, obwohl sie es wert gewesen wäre. Er aber hat sie sich wieder besorgt. Ich hätte das nicht getan. Mützen, Kappen, Hüte, sind Kostümteile.
Und eine Krone verliert ihren Reiz, wenn man sich nach ihr bückt.

Sonntag, 4. Juni 2006

Zum Ausgleich - Die deutsche Post in der Provinz

Angeregt durch die lesenswerte "Blogwiese", deren Link http://www.blogwiese.ch/ ich noch irgendwie in die Sidebar fummeln muss, erinnerte ich mich an eine Geschichte, die uns erst kürzlich in Raserei brachte, was in Niedersachsen ja nichts macht, da genügend Platz ist. Kühe, Ochsen und (Rück)Spiegel zum Anschreien gibt es auch genug.

Nicht alle die wollen sind schon in diesem kleinen aber feinen Land hier angekommen, meine Freundin bemüht sich seit einem Jahr eine Stelle als Kunst/Gestalt/Werklehrerin am liebsten im Raum Bern zu erhaschen. Leicht ist das nicht, wobei auch hier wieder die grössten Probleme mit den deutsch Behörden bestehen. Aber das ist ein andere Geschichte und im Moment rechtshängig. (Jetzt habe ich mal ein Schweizer Wort erfunden.)

Sie wohnt in einer Gegend, bei der ich noch heute staune, das es sie gibt. Es sind die windradvollgestellten Wiesen auf den letzten sechzig Kilometern vor Holland und der Nordsee. Nach vierzig Kilometern Fahrt westlich Osnabrück und Durchfahrt durch drei (!) Dörfer erreicht man ihren Flecken, der sogar Stadt ist. Dieses tödlichste aller toten Nester beschreibe ich später mal, beschränken wir uns heute auf die Post, die es entgegen den drei Apotheken nicht mehr gibt. Dort wohnen ALte, Volltrunkene und fleissige russische Neudeutsche, die sich enorm hässliche Häuser an die Waldränder stellen. Die Liebste also will da weg und schreibt seit Monaten immer wieder Stapel von superfetten Bewerbungsbriefen im Format A4 in die Schweiz. Sie hat viel studiert und all ihre Abschlüsse sprengen jeden Umschlag. Manchmal geht ihr Lebenslauf als Päckchen durch. Jeder hat seines zu tragen. Die Restpost, nicht zu verwechseln mit den in dieser Gegend florierenden Restpostenläden, residiert in einer dunklen Ecke des Hinterladens bei Ludlage, einem Papiergeschäft. Gegenüber verkauft der selbe Händler unter gleichem Namen Damenmode in gedeckten Farben. Den Strick zum Aufhängen bekommt man sicher auch von denen. Hinten im Laden also ein postig dunkelblaues Doppeldesk, wovon meist nur ein Platz besetzt ist. Es werden alle Services angeboten und dann auch voll berechnet. Bank/Brief/Paket. Wenn es eilig ist, denkt man sich, gebe ich den Brief als teure Eilpost dort direkt auf. Meine Liebste, ganz Leherin, wagte noch die Belehrung, dass Schweiz Ausland ist und das Gewicht für den Eilbrief sicher heikel. Er wurde gewogen, ja alles klar. Marken drauf, sechs Euro kassiert und in den Sack. Und es ging wirklich schnell. Am nächsten Tag schon brachte der Postbote den Brief zurück, mit dem Vermerk: Nicht ausreichend frankiert. Er nahm ihn nicht wieder mit, die Marken waren gestempelt, die Hobbypostdame entschuldigte sich, sie hatte sich verwogen oder in der Tabelle verlesen, klebte neu und wollte nochmals den gesamten Preis. Da wurde meine Freundin pampig, was in Niedersachens noch was bringt. In der Schweiz übrigens nicht. Als einmalige Blödheit einer einzelnen Person mag das noch durchgehen, aber der ganze Spass passierte wenige Tage später genau so nochmal. Jetzt wiegen wir ihre Lebensläufe auf der Mehlwaage, benutzen DHL oder ich nehme die Post gleich direkt mit und stecke sie in der Schweiz ein.

Klar ist, beschwert man sich bei Ludlage, heisst es, der Schalter sei nur in ihrem Laden, gehöre aber der Post. Wendet man sich an die, heisst es, das seien die Leute von Ludlage. Und der Briefträger nimmt sowieso nichts wieder mit. Auch das ist in der Schweiz anders.