Samstag, 20. Januar 2007

Für Solveig Dommartin 29.7.1958 - 11.01.2007


Ein Freund, der gar kein Freund war, sagte mal zu mir, nachdem er die Fünfzig überschritten hatte: "Tja Götz, die Einschläge kommen näher." Typisch deutsch, auch für den Marsch durchs Leben und damit auf sein Ende zu, Kriegsbilder. Die aber haften gut, auch mir fällt dieser Satz immer wieder ein. Je älter man wird, um so häufiger hört man von Tod. Da hilft es auch nicht, in einem Beruf zu sein, in dem der Tod immer mit dabei ist.

Doch die Nachricht vom frühen Tode Solveig Dommartins schlug bei mir ein, nicht nur in der Nähe, und nicht weil sie nur acht Jahre älter wurde als ich heute bin. Ich hätte dieser Frau noch Leben gewünscht und uns ihr Gesicht und ihre Stimme auf der Leinwand.

Unsterblich ist sie längst.

Wie alle im "Himmel über Berlin" und in "In weiter Ferne so nah" spielte sie sich zum Teil selbst. Der erste Film ist die Geschichte eines Engels der wegen ihr zum Mensch wird. Gespielt wird das Ganze durch Menschen, die engelhaftes haben, die verkörperlichen können, was sonst ein Ahnen ist.
Man muss Bruno Ganz nur lesen hören, Otto Sander nur spielen sehen oder einfach in die unglaublich schöne Fresse von Peter Falk glotzen, schon spüren wir, das da mehr ist, als wir mit Tickets kaufen könnten.
Da wir Menschen sind und immer nur Menschen Menschen von sich selbst befreien werden, müssen wir arbeiten. Und hier der unglaubliche Doppelsinn. Die Schauspielerin Dommartin hat sich für die Szenen, in der Marion die menschliche Arbeit zum Engel hin zeigt, nicht doubeln lassen. Über Monate trainierte sie am Trapez. Menschsein ist Leben und Leben ist Arbeit.

Im Film ist das manchmal anders. Da wird auch gezaubert. Das ist das schöne an ihnen und Wenders zeigt im Film auch das Zeigen. Die Engel kommen traumhaft einfach so angeschwebt und machen die Innenwelt der Menschen hörbar. Schon das genial. Sie kommen von irgendwo.

Die Verbindung zwischen Engel und Mensch sehen wir zuerst in Peter Falk, der ein "ehemaliger" Engel ist. Und wir sehen ihn bei der menschlichsten aller Tätigkeiten, bei der Arbeit. Doch man merkt nicht, dass Falk arbeitet. Genau so wie man im zweiten Teil nicht bemerkt, wie hart Damiel arbeiten muss. Er sitzt, grässlich schön und glücklich singend, auf seinem lustigen Dreirad und fährt die Pizza aus, damit seine Frau Marion, gespielt von Solveig Dommartin, Zeit hat, mit ihrer Tochter am Trapez zu üben. Unglaubliche Szenen. Als ich das mit der Frau sah, mit der ich den hoffentlich langen Rest des Lebens verbringe, hatte ich Tränen in den Augen. Auch wenn er noch so stark ist, soll einer meine Sinne im Leben sein, dieser Frau den Rücken freizuhalten und zu stärken, damit sie genügend Raum hat, einem Kind zu zeigen, was man wissen muss, um wahrhaftig zu sein. Von mir kommen dann noch Wärme, Spass und der Duft von f6.

Die wichtigste Rolle in diesem Film und deshalb wohl kriege ich mich nicht mehr ein, hatte Solveig Dommartin. Falk war schon Engel, Ganz und Sander sind Engel, sie und Curt Bois (der Erzähler) sind die beiden MENSCHEN die schon auf Erden und zu Lebzeiten Engel sind. Und das durch Arbeit. Sie spielt den Engel am Trapez, die Frau die (ganz Mensch) mit angeklebten Flügeln Angst hat abzustürzen. Und sie zeigt, wie man als Mensch fliegen kann. Durch Arbeit! Die wichtigste Figur ist nicht der menschwerdende Engel, sondern der engelhafte Mensch in den sich sogar die Engel verlieben. Cassiel scheitert im zweiten Teil am Menschsein. Er hatte keine Marion.

Wie viele Cassiels scheitern in unserer Welt. Auch bei mir war es knapp. Ich glaube an Engel seit ich einen Menschen traf, der durch harte, sehr, sehr harte Arbeit an sich, andere mitnimmt zu Flügen von denen sie bisher nichts ahnten.
Darum heisst es: Arbeit. Arbeit am Menschsein. Dann sind wir auch Engel. Und immer für andere!
Nie nur für uns.

Ich erzählte mal einem Pater und Bruder vom Eindruck, den mir dieser Film gemacht hatte und von einer Frau, die mich fragte, ob ich denn nicht spüre, wie meine Engel mich beschützen. Ich erzählte ihm auch von Dummheiten, die ich mit Menschen, Frauen und Seelen gemacht hatte.
Der Pater wurde sehr ernst und sagte: "Auch du bist ein Engel. Aber du fällst!" Dann schickte er mich beten. Ich glaubte zu verstehen und bekam einen riesigen Schreck. Der gefallene Engel...

Denke ich heute an den Film, kann ich den Fall auch anders sehen.
Meine Rüstung ist nun verkauft. Nun heisst es arbeiten. Am Mensch sein.

Ich bin traurig, dass Solveig Dommartin tot ist, auch wenn sie unsterblich bleibt.
Das Leben ist grausam, besonders wenn es nicht mehr da ist.
Leben wir. Tot sein können wir noch lange genug.

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