Samstag, 17. Juni 2006

Wir Metzgerssöhne

Wegen akuter Reisekrankheit ein älterer Text, geschrieben für die Akademie.



DIE LÄRMENDE AKADEMIE PRÄSENTIERT:

Götz Schwirtz

Wir Metzgerssöhne

Alles kann der Mensch tun. Jeder. Jeder Mensch kann alles tun.
Jeder Mensch kann alles verdrängen. Jeder. Alles kann der Mensch verdrängen.
Das macht uns so gefährlich.
Wir können vergessen,
getötet zu haben
und töten immer wieder.
Mit dem reinsten Gewissen.

Am Grad zwischen Himmel und Hölle, zwischen Sein und Wirklichkeit, auf der Naht durchs Land, die hier eine Fieberkurve und kein Tellerrand ist, an diesem deformierten Horizont, auf dem ich wohne, erreicht mich eine Nachricht, erreicht mich Deine Nachricht. Trifft mich. Lässt mich kippen, stürzen von dem Strich auf dem ich ging, dem Seil das anderen die Sehnsucht ist, durch Dich hindurch, doch sei mir Boden. Denn weder Himmel noch Hölle nehmen mich auf, schliessen mich ein, weiten mich, lassen mich sterben. Nein, es sind deine Unwirklichkeiten, in die ich falle. Schön wäre die Ladung in einem Drogerieladen.
Haben sie Zeckenpinzetten? Doch der verspätete Versuch, dich mir aus dem Hirn zu drehen, würde meinen Gedankenbrei ausfliessen lassen, bis nur noch Regeln da sind. Gesetze aus dem Nichts. Gehalten wird die Götterspeise „Ich“ nur vom Netz der Beisskanäle in meinem Kopf. Du bist nicht die Erste.
Aber wenn ich nicht aufpasse, die Letzte.
Wo lande ich beim Fall in Dich? Die Pinzette brauche ich nicht und werde Dich aus mir quetschen müssen. So lange an deinen Löchern saugen, bis du ausser Dir bist und Platz für mich machst. Da wirst du schreien, das sag ich dir.

Zwischen zu viel und nichts bist Du. Wie wir alle. Lass uns auf diesem „Zu“ tanzen bis Asche unter unseren Sohlen stäubt. Wir sind nicht „zu“. Nichts lässt sich mit uns vergleichen. Ausser wir uns miteinander. Setz Dich auf mich, verhalte Dich nicht mehr. Nimm mich, bevor ich mich Dir geben kann.
Doch ich bin hier der Mann und Du zu holen. Wo bitte, finde ich Dich?
In der Pusztasosse? Im Brooklyngum? Die ganze Welt ist voll von dir, seit ich weiss, ich habe Dich, ohne Dich zu kriegen.

Haben sie einen Lappen, Frau Delon? Ich tropfe Ihnen hier die ganze Metzgerei voll. Ja ich brauche Fleisch, kein Hack. Was hängt denn da an Ihren Haken? Nein keine Kreuze bitte, ich mag nicht Kutten heben um zu leben. Ja Deutsch sein ist ein Schicksal, aber längst nicht mehr meines. Wissen Sie, Frau Delon, wenn ich lasse, es zu lassen, wie ich es gerne würde, stirbt sie an meinem ungelebten Leben. Frau Delon, na sie kennen das doch. Was war mit der Mutter ihres Enkels? Nico – Icon, tot am Strand. Die schöne Sängerin ohne Stimme, die erst ihre Schönheit sterben liess und dann sich. An einem Sonnenmorgen am Strand.

Ja, von der Zunge nehme ich, Frau Delon. Und fahr mir damit durch die trockenen Stellen. Hinter den Ohren und so, sie wissen schon. Ja, Blut braucht es auch. Füllen sie mir ein paar Tropfen in diesen Eimer hier. Ich werde es ihr von allen Lippen lecken und in den See spucken, bis er braun ist, mein Traum vom grünen See.
Nur Tröpfchen braucht es für die Spiele. Leben soll sie, fröhlich, so wie sie jetzt an ihrem Haken vor den Fliesen zappelt. Rotbäckig, sprudelnd, warm. Wie sollen sich Ihre Schwämme füllen, wenn Sie blutleer ist? Und wenn sie zu wenig hat, dann gebe ich von mir.
Ich platze gleich.

Ja Frau Delon, eines Tages wird sie lieben, dass ich sie kenne. Und ich werde ihr schmecken. Ich Honig des Lebens aus Sperma, Blut und Tod, überall in ihr, an ihr, auf ihr. Mein Fleischgericht wird mich verzehren. Das gibt es nur in ihrem Geschäft, die Wurst die einen selber isst.

Bezahlen kann ich nur mit Gefühlen aus Nichts. Nichts was wir sind existiert. Sehen sie in den Taschen meiner Sehnsucht nach, die nackt an ihrem Haken hängt. Ich bezahle mit den Gefühlen, die meine Sehnsucht für mich hegt. Doch das tut sie, Frau Delon, sehen sie genau nach, sie finden sicher was. Sie MUSS erst hegen, was sie später abknallen wird.

Wenn es nicht reicht zum bezahlen, dann nehmen sie doch die Kreditkarte der nächsten Kundin. Ich brauche jetzt mein Fleisch! Es singt und schreibt für mich im Morgengrauen. Ich weiss das nicht und lache, liebe, schreie am falschen Ort. Den gibt es nur, weil es sie für mich nicht gibt. Tja Frau Delon, nicht so moralisch, sie hängt bei ihnen am Metzgerhaken statt an mir. Wenn sie den Morgen anheult, sitze ich in einem fremden Wintergarten, der mir gehört, erschöpft von einer fremden Frau, die mir auch gehört und paffe Nebel in das Glashaus und fühle mich so stark, so frisch geschwächt. Sang da wer im Innenhof?
Frau Delon, wenn ich ein fremdes Universum ficke, ist sie die Uhr die knallt.
Und sie weiss das, sehen sie nur, wie lustig sie da zappelt und sich an den altweissen Kacheln abstösst. Wir sind gezwungen mehr zu glauben als wir sehen oder aber sehen wir mehr als wir glauben können. Wer weiss das schon? Das was ist, ist zu wenig. Schon einzeln sind wir mehr. Einzeln sind wir mehr als zwei? Das kann sein, denn ab der vierten Dimension ist man sich nah befremdet.

Und Zeiten, Frau Delon? Wie sieht es aus mit frischen Zeiten? Mit besseren? Wenn`s geht am Stück. Am Besten gerade im Block. Ja, ich brauche viel davon, um aus diesem Nichts noch weniger zu machen. Tage, an denen nicht zu unterscheiden ist,

WERsingt, WERliest, WERtanzt, WERspricht, WERweint, WERschreit, WERstirbt
WERweiss

Und reite alle Pferde, die sie ist, in alle Himmel gleichzeitig. Darum packen sie viel Zeit in die Tüte. Denn sie ist alle Richtungen und ich muss gleichzeitig überall hin. Sie Metzgersfrau werden das verstehen. Aus Zeit mach ich die Strahlen, die nach überall hin von ihr weisen. Aus ihrer Zeit Frau Delon, mache ich sie zur Sonne.

Das gibt eine Sauerei! Sind sie froh, Frau Delon, dass ihr Sohn ein alter Mann geworden ist. Die Wäsche, ich sage Ihnen. Stellen sie sich vor, mein kleinster Nukleus schmilzt in dieser Sonne, auf deren Strahlen ich überall hin, nur nicht fort komme. Kernfusion des Blutes aus Eis. Wie die letzten zwei Minuten Time after Time Live mit Miles. Der stille Untergang der Welt. Einer Welt. Meiner? Ihrer? Das ist noch nicht entschieden.

Denn sie mag mich nicht. Und das ist gut, Frau Delon. Sie soll mich lieben oder hassen, niemals mögen. Das ist der Killer. Sie, deren Schizophrenie vor mir klafft wie eine nasse Vulva, soll mich um ihren Tod nicht mögen, wenn ich fülle was offen scheint.

Und weil alles gut kam, ist Heiner auch mit da. Der ist immer bei mir und da wo ich bin kommt immer alles gut. Auch der Tod kann ja Erlösung sein. Also Heiner sagt:

NOCH MEINE ASCHE WIRD NACH DIR SCHREIN

Vielleicht ja auch nur die, denn aus dem Rahmen können wir nicht fallen. Fassen kann uns längst keiner mehr. Nicht mal wir uns selbst.

Also Frau Delon, danke für das Gespräch, sie können das Hörgerät nun wieder anschalten, ich bin fertig. Ja, geben sie sie mir ganz mit, ich mache sie zu Hause klein.
Und grüssen sie ihren Sohn von mir. Er kennt mich nicht, aber seinem Coiffeur habe ich schon mal ein paar in die Fresse gehauen. DAS verbindet.

1 Kommentar:

  1. Anonym2:05 AM

    Ich finde nicht
    Die tönenden Farbschimmer

    Mein Gesicht
    Ist augenlos

    Fern der Berührungsfläche
    Öffnet sich der Boden

    Neben den Schritten
    Klaffen rechteckige Spalten

    Körperloser Gang
    Durch Zerrbilder von Straßen

    Milchige Schlieren
    Verhindern den suchenden Blick

    Innenansichten
    Sind nur Bruchstücke

    Durchzogen
    Von Zerrbildern des Tages

    Und denen der Nächte
    Lautlos

    Ich treibe umher
    In der Zerstückelung

    Da ist kein Widerstand mehr
    Gegen das Fehlen

    Unfassbar
    Ich kann mein Gesicht nicht finden

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