Montag, 5. Juni 2006

Nach der Krone bückt man sich nicht!

Das sind jetzt die Tage, der frühe Sommer lässt die Hoffnungen fliegen und die Schatten steiler werden, da, in so schönem Beginnen begann das Ende, welches im ersten Post umschrieben ist. Darüber wollen wir heute nicht jammern, gerade diese Tage sind wundervoller Beweis dafür, dass ich zum bessern überlebt habe. Was immer das heisst. Hier ein Gedanke in dem meine werdende Exfrau zumindest mal vorkommt.
Ich war Anfang Jahr in Kalifornien. Wunderbar das Gefühl, aus der Kälte geflohen, eine Freitagnacht in Hemd und Jacket auf der Mainstreet von Santa Monica zu feiern. Dort macht ein gewöhnlicher Wochendendeinstieg wozu man in Basel mal die Aktion „Usestuhle" erfunden hat. Und das hiess nicht: „Aus dem Fenster scheissen." Um es kurz zu fassen, mein Kollege und ich gerieten in ein spontanes Strassenfest.
Zum Dinner im Freien hörten wir ein Gitarrenkonzert, es waren Themen und Läufe die die halbe Menschheit und ich von „Friday Night In San Francisco" kannte, nur schneller gespielt, wesentlich schneller. Wir sahen einen spontanen Hip - Hop Kontest und später zwei lange milchkaffeefarbene Jungs, die zu den verstärkten Klängen ihres I-Pods tanzten. Ein Traum in weissen Smokings.

Mein Kollege Peter, wir waren eine Zufallsminireisegruppe und kannten uns vorher nicht, entwickelte im Verlauf des Abends den Wunsch, zumindest auch in ein amerikanisches Kino gegangen zu sein , wen wir nicht noch den Schuppen am Pacific auftun würden, was wir nicht taten.
Ich war einverstanden, denn ich hatte gesehen, was auf dem Nachtprogramm stand. Wir mussten uns einigen und da für mich Filme mit Nummern hinten dran nicht in Frage kommen und er auf gar keinen Fall einen Film über den Privatmann Neil Young sehen wollte, einigten wir uns auf „Capote", womit ich sah was ich sehen wollte. Ich kann ihn nur immer wieder empfehlen.
Ich staunte, wie viele aus der Partystimmung draussen, nachts halb eins noch in einen Kinosaal flüchteten, manche augenscheinlich nur zum Schlafen. Auch Peter der Arme nahm eine Mütze voll. Mir ging der Hoffmann wie öliger Mocca runter, auch wenn ich bei dem Genuschel und Getunte längst nicht alles verstand. Das Wort bizarr, hier passt es mal, wie Hoffman den Capote zischelt.

Auf dem Heimweg, auf dem ich Philip Seymour Hoffman schon mal den Oskar verlieh, erstarrte mein wiedererwachter Freund plötzlich. Sein Hut! Den hatte er vor ein paar Tagen aus dem Koffer gezaubert, nachdem ich ständig einen neu gekauften aus dem Levisstore trug und mir unendlich cool vorkam. Kein Hut, eine Cordmütze, gesenkt, gezogen aus einen Haufen an der Kasse, meine Freundin kann sie nicht leiden, weil ich damit wie einer der Russen aussehe, deren Eltern die hässlichen Häuser an Niedersachsens Waldränder bauen. Ganz anders die meines Freundes. Ein edles Filzteil, doch, doch - schon fast ein Hut. Im Verhältnis wie sein neuer TDI zu meinem zwölf Jahre alten Passat. Und dann noch aus Europa eingeschleppt! Ab da liefen zwei coole Mützen rum.
Jetzt aber war ich müde und erklärte ihm auf dem Weg zurück zum Kino, wie idiotisch es sei, sich früh um drei vor ein geschlossenes Kino zu stellen und um seinen Hut zu weinen. Ich wäre niemals zurück gegangen. Er aber erfuhr zumindest, wann am nächsten Morgen die nächste Vorstellung begann. Putzen würden sie ja vorher. Selbst die Skyscraper sind in Santa Monica weiss.

Am nächsten Morgen kämpfte er sich, während ich schon fette Bagel frass durch all die spanisch sprechenden Putzleute und tatsächlich, er kam nach einer halben Stunde freudestrahlend aus dem Kino zurück. Mit seinem Hundertfranken Filzcap auf dem Kopf. Er hatte recht behalten und mir fiel auf, dass ich, wenn nicht der Zufall mich noch mal an diesem Kino vorbeigeführt hätte, niemals dahin zurückgekehrt wäre, nur einer Mütze wegen.

Und da war plötzlich die Frau in meinem Kopf, die tatsächlich bald meine zweite Exfrau wird. Mir kam eine ganz frühe Geschichte aus Basel in den Sinn. Frisch verliebt gingen wir in das Stattkino um uns einen Frida Kahlo Film anzusehen. Nein, nicht den schönen mit der Hayek. Nein, so etwas Schwarz - Weisses, den Vorgänger für die richtigen Fans, zu denen meine Frau zählte. Trotzki spielte in dem eine sehr wichtige Rolle. Was ihn für einen ordentlichen Linken zum Geheimtipp macht. Schwarz - Weiss und Trotzkis Bart reichen noch nicht für einen guten Film. Ich hingegen trug einen schönen Hut, über den ich ihr Romane erzählt hatte, er hing mit anderen Amerikageschichten zusammen und man sah ihm wirklich an, dass er aus New York stammen musste. Durch diese Tage damals ging ich mit der Lockerheit des Zuchstiers oder aber der seines Herren, o- beinig in roten Hosen, vor Coolheit kaum laufen könnend, wie Django nur ohne Revolver. Ich glaube ich hatte mit Mitte dreissig schon meinen dritten Frühling. Jedenfalls war auch nach diesem Kinobesuch, wo mich die Rüschenbluse der Frau neben mir, die Frau Hayek gar nicht so unählich war, am meisten von allem fasziniert hatte und ich dummes Zeug über den dicken Rivera erfand, plötzlich mein toller New York Hut weg. Kein Gedanke daran, umzukehren, sie hatte zugehört und nahm den Hut wichtig, ich wollte nur heim, nur ins Bett, die Rüschenbluse entfernen.
Ich wusste damals noch nicht, dass sie niemals drängte, drückte oder zwang. Weder sich noch andere. Sie fragte einmal abends, noch einmal am nächsten Tag, ob ich denn nicht nach dem Hut wolle, dann nie wieder. Mir ist so was dann auch noch peinlich, so im Kino nach dem Hut fragen. Weiss doch auch nicht warum. Ich gab ihn verloren. Weg ist weg. Er gehörte ja auch zu einer anderen Frau, eine Beziehung vorher.

In Santa Monica fiel mir die Geschichte wieder ein. Den Hut habe ich vermisst, aber sich wegen einer "Sache" mühen? Erst dort, sechs Jahre später ging mir langsam auf, was meine Frau an diesem Abend an mir gesehen hatte.
Mein neuer Freund Peter hätte niemals soviel über seine Mütze geredet wie ich, obwohl sie es wert gewesen wäre. Er aber hat sie sich wieder besorgt. Ich hätte das nicht getan. Mützen, Kappen, Hüte, sind Kostümteile.
Und eine Krone verliert ihren Reiz, wenn man sich nach ihr bückt.

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