Dienstag, 13. Juni 2006

Hamburg war`s

Ich habe eine Freundin in der freien Stadt, die jetzt in einer verbindlichen Beziehung lebt, die zu inspizieren Grund einer Reise gewesen wäre. Oder eine, die über die Anthologie lacht, in der meine einzige Veröffentlichung des Vorjahres steht. Auch hier wäre ein Besuch in Eppendorf angebracht gewesen. Zur Zurechtweisung. Wobei auch ich über jede Anthologie lache, in der ich nicht selbst stehe. Es kam anders.

Wenn ich nicht ins platteste Niedersachsen reise, wo selbst die Badeseen bei dreissig Grad Hitze deprimierend sind, oder Herzen in der Hand halte, oder Fussball gucke, schreibe ich. Nach dem abgeschickten Stück nun ein Kriminalhörspiel, das, so die Vorgabe, in Hamburg spielen muss. Ich habe einen guten Teil Lebenszeit dort verbracht, bin früher bei Abreise fast gestorben, was letztlich Anlass für einen Roman wurde, der misslang. Ich hatte keine Beziehung in der Stadt, umso mehr zu der Stadt. So ging mir auch, nach allerlei Entwürfen, die einen Schreibtisch decken, der eigentliche Krimi gut von der Hand. Zu gut - der enge und sehr übende Rahmen der Hörspielvorgabe wurde grundlegend und fortlaufend gesprengt, was auch den jetzt fertigen Haufen Papier zur Vorarbeit macht.

Während des ganzen Stückes, das an einem Sonntagmorgen spielt, kreist ein Blimp über der Stadt. Das ist der Clou, den ich hier verrate, der Kommissär steht immer wieder an Punkten während seiner Gespräche und Verhöre, an denen er einen entführten Blimp beobachten kann, der von Finkenwerder kommend, letztlich über Altona, dem Kiez und der Norderelbe kreist. Der Blimp ist leer, es handelt sich um Mord.

Da der Herr Kommissar zwingend in Altona vorbei muss, so eine der Vorgaben, und ich nur Stellen beschreiben kann, die ich kenne, ergab sich ein bestimmtes Revier in dem das Stück handelt. Und so hatte ich gestern einen "inneren" Auftrag, fuhr mit konkreten Zielen in d i e Sehnsuchtsstadt, denn ich musste konntrollieren, ob an den Stellen, an denen mein Stück spielt, am Himmel wirklich ein von Altona kommender Blimp zu sehen sein könnte. Kurzum, ich muss viel ändern, aber es geht. Befriedigend war die einleitende Autofahrt durch die Häfen, da soll er herkommen und das geht wirklich.

Statt vernünftig zu Parken und Riden fuhr ich der Nase und der Elbe nach, kreiste dreimal einen Weg von Altona zum Kiez, fand in Altona auch einen originalen Startpunkt für die Story und hatte immer Dächer im Blick, die schön und prominent genug waren, um bei mir mitzuspielen. Ich landete wie von selbst am Millerntor, parkte und stand plötzlich und etwas überrascht auf der geilen Meile. Denn die kenne ich wie die meisten nur im Vollrausch. Seitdem ich nicht mehr trinke war ich oft in Hamburg, doch nie mehr aufm Kiez. Wozu auch? Nach neun Jahren stand ich erstmals wieder auf der Reeperbahn. Mittags um eins bei dreissig Grad. Man muss es nicht kurz machen, denn das Geviert in dem sich Zigtausende Wochenende für Wochenende gehen lassen, ist kurz, dafür aber erstaunlich breit. (Lindenberg: Meine Tage sind gleich lang, aber verschieden breit.) Im Grunde war das, was ich für den Ort meiner ausgelassensten Freiheit hielt, gestern im gleissenden Licht mit einem Blick zu übersehen.

Auch wenn im Licht alles anders wirkt, die Boulevards leer waren und manche neue Fassade (Schmitts in rotem Glas!) verwirrte, fand ich mich sofort zurecht. Cafe Keese klar, da über die Strasse, da war schon die Wache, daneben Schmitts Tivoli. Aja, das liegt nebeneinander, wusste ich nicht. Grösser noch meine Überraschung: das Angies gehört zum Schmitts. Ich war da manchmal mit Kerstin, wunderschöne wenn auch völlig trunkene Abende. Immer mit Geschichten, die heute letztlich in dem Hörspiel münden. Weisst du noch, der Tänzer aus New York? Ja genau, der spielt immer noch mit, wie auch der Blimp, der nur nicht mehr Orange ist, sondern jetzt Reinweiss. Vor dem Angies ist der Boulevard heute fast fünfzig Meter breit und versehen mit zwei gegenüber liegenden Vattenfall Bühnen, die verschieblich sind. Wozu weiss ich nicht. Vielleicht tritt auf der einen ein Feuerspucker auf, wenn Udo nächsten Winter dort endlich in Badehose singt, wie ich es ihm vorschlug um auf die frierenden Kashmirkinder aufmerksam zu machen.

Ernüchternd, wie kurz die Wege nüchtern sind, die früher wie ein Wandeln am Rande eines brennenden Styx waren. Dann der Hans Albers Platz. Ort meiner bis heute eindrücklichsten Alkohol und Drogenerfahrung. Dort schwamm ich mal früh um fünf zwischen Hunderten Menschen in einem dunklen Traum, nachdem ich mich noch heute manchmal sehne. Unglaublich aufgehoben. Das erwachen unter lachsfarbenen Vorhängen in Bramfeld war wie Auftauchen aus der Dieselbracke des Abscheidebeckens eines Panzerabspritzplatzes.
Gestern drehte ich mich fotografierend einmal um mich selbst, wie der Tourist der ich heute bin und damals auch schon war. Ich sah es nicht, erkannte auch nicht, aber fühlte genau die Stelle, an der ich damals diesen schwarzen Flash hatte und stand genau wieder auf ihr. Ein wichtiger, denn dunkler Punkt in meinem Leben.

Ich kam nicht lang dazu, in alten, vermeintlichen Träumen zu schweben. Man trifft dort Leute, wird angesprochen, aufgefordert, angebettelt. Neben einer Hartz 4 Geschichte, einigem über Trinkverhalten und Schiessereien, fiel das Wort Ballermann. Das verdarb mir die Laune, weil es den Nagel auf den Kopf traf. Mein Aufgehobensein im Bodenlosen war der Ballermanneffekt. Völlig sinnlos betrunken unter völlig sinnlos Betrunkenen, die nüchtern genau so eng und ängstlich, sich selbst beschränkend wie ich waren. Ein Moment der scheinbaren Freiheit. Eine alkoholische Täuschung. Das ging mir durch den Kopf, als ich meiner Story folgend, die verschiedenen Wege zur Hafenstrasse abging.

Beim Hotel Imperial gibt es ein Kriminaltheater. Ich schmiedete Pläne und fuhr, ohne meine Freundinnen getroffen zu haben, mit Sonnenstich, Bluthochdruck und zerstörerischen Gedanken zurück nach Deprisachsen ab.

Das ist die einzige Form von Selbstmord, die ich mir gönnen würde. Wieder saufen anfangen und in die Spelunken auf dem Kiez einziehen. Da ich dieses Romansujet eventuell noch zum Leben brauche, verschenke ich es diesmal nicht.

AHOI.

3 Kommentare:

  1. Anonym1:02 AM

    Zeit ist
    eine ruhige Gewissheit
    im Vergessen
    holt sie Atem
    für das Neue

    Unendlich
    dehnt sie sich aus
    vorwärts und rückwärts
    im Alleingang
    ohne uns zu fragen

    Sie trägt
    unsere Tagträume
    davon
    wir sehen nur die Zukunft
    im Vergessen

    Nur sie kennt
    die Bilder
    der Vergangenheit
    wirklich
    uns bleibt das Erinnern

    Verschwommen
    in der Realität zurück
    manchmal im Nebel
    des Herzens
    am schmuckvollen Band

    Mit Fassung getragen

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  2. Anonym1:07 AM

    Wehe, einer klaut mein Gedicht für Syphilister!!!!!

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  3. Oh danke sehr. Ich werde es hüten wie meinem Augapfel. Sagte der Blinde und fiel vom Baum.

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