Montag, 15. Mai 2006

Warum nun doch?


In diesen Tagen vor zwei Jahren begann eine Reise, an deren Ende das seit elf Monaten verheiratete Paar kein Paar mehr war, wohl aber noch verheiratet. Plötzlich sass ich allein in meinem leuchturmartigen Ausblickzimmer über dem grünen See und entschloss mich, gerade den Boden unter den Füssen verloren, ein Weblog: „Der Traum vom grünen See“ zu beginnen. Mir war ganz am Anfang dieser sehr schmerzhaften Trennung klar, ich würde verarbeiten müssen, mir war auch klar, dass meinem Wesen entsprechend, am Besten schreibend in einer Semiöffentlichkeit zu tun, ich wusste ich würde schreien müssen. Und schreien funktioniert nur, wenn einen jemand hört. Vielleicht waren diese ersten die schlimmsten Tage, ich ahnte unbewusst die Schatten der Berge, die über mich stürzen und das Tal und seinen grünen See verfüllen würden. Die Katastrophe fand statt, die Lawine war ausgelöst, doch es rollten erst ein paar kleine Steine. Aber sie rollten und es wahr mehr zu ahnen als vorherzusehen, was weiter geschehen würde.Der Bergsturz dieser Beziehung und Ehe würde keine reparablen Teile übrig lassen. Ich sass plötzlich allein auf einem der schönsten Flecken der Welt und wusste, dass wir unter meiner Initiative unser ganzes Leben auf diesen Ort ausgerichtet hatten, war ein Fehler. Wir waren zu früh im Ziel und mussten nicht mehr laufen. Noch ein bisschen Lockern höchstens. Genau wie ich das brutale Ende nicht wahrhaben wollte, konnte ich akzeptieren, dass nicht nur die Liebe, diese Scheissehe, sondern eben auch mein Traum vom grünen See kaputt ging. Ich hätte es vor zwei Jahren bis aufs Messer bestritten, aber im Titel geplanten Blogs kann man das unbewusste Ahnen schon lesen. Ich wohne seit einem Jahr nicht mehr über dem grünen See.
Aus dem Blog wurde nichts, ich ergriff eine andere schon erprobte Massnahme, und schrieb mich in ein Literaturforum ein. Mit nur Tagebucheinträgen würde ich nicht reichen und in diesen Foren kam man schneller ins Gespräch. Und wie. Es war alles wie immer, nicht im Handstreich und nicht umfassend, aber nach kurzer Zeit wirkte ich dort, wurde gelesen und besprochen. Und es geschah, was ich vier Jahre vorher schon einmal erlebt hatte, ich gewann rasch neue Freundinnen und Freunde, traf virtuell Gleichgesinnte, das Forum wurde Tage und Nächte füllend, ich schrieb für ein direktes Publikum und mit Erfolg. Gleichzeitig war ich Publikum und gezwungen mich mit anderer Leute Texten auseinanderzusetzen. Anfeindungen bleiben da nicht aus und es kam wie immer, nach einer Nacht der langen Messer, gab es plötzlich ein neues, eigens Forum. Die „Lärmende Akademie“, die ich mir im Vorfeld mit Michael Perkampus ausgedacht hatte. Sie wurde sein Baby, Wiege und Hort für sein unglaubliches Sein und Wollen. Perkampus, der Hochbegabte, das Genie, der unbedingte Avantgardist, der Exzessor, der Naturpunk wird an anderer Stelle noch ausreichend besprochen werden. Früh stieg ich wieder aus, da ich letztlich mit Bürgerblei an den Füssen, Mühe hatte, mit meinen eigenen Höhenflügen klarzukommen. Keine Chance seinen Irrsinn mit zu tragen, der letztlich ganzer Mannschaften von Bodentruppen bedarf. Meine Texte, damals inspiriert wie eigentlich nie vorher, hinterliessen Wirkung, vor allem bei Frauen und bei einigen sehr starke. Mit den Folgen dieser Wirkungen hatte ich mehr zu tun, als mir eine ernstzunehmende Arbeit in der Akademie erlaubt hätte. Es waren über tausend lange Mails die innert zwei Monaten im Hintergrund des Forums zwischen mir und einer Dame hin und her gingen. Schreiben bis zur Lähmung am Computer. Ein Effekt hatte das auf jeden Fall, ich überwand, übersah oder überging die Niederungen der Trennung, das Scheitern eines Lebensplanes.
Perkampus fand in dem Forum seine Ehefrau, mit der er heute in Heidelberg lebt. Mir begegnete dann Conny, die schrieb wie Heiner Müller, ohne das sie ihn kannte und wegen der ich in den letzten Jahren mehr Kilometer auf deutschen Autobahnen verbrachte als Stunden im Netz und beim Schreiben. Und ich bereue keinen. Conny war die Einzige, die Perkampus fachlich widersprechen und Paroli bieten konnte. Auch sie wird in diesen Logtexten sicher häufiger vorkommen.
Hier vielleicht eine erste Entschuldigung bei Perkampus, in meiner schlimmsten persönlichen Krise war ich auf gar keinen Fall in der Lage, auf Dauer so viel Verantwortung in einer Akademie zu tragen, die sich ganz ernsthaft Avantgard beschäftigte und unheimlich gute Autoren wie Honig den Bären anzog. Avantgarde bedeutet zwingend auch, die Gegenwart, ihre Wirklichkeit und vor allem die Darstellung derselben ganz prinzipiell zu überwinden. Da ist mein Ansatz anders. Ich schleppe angeborenen Opportunismus mit und ehe ich auf dem Gipfel angekommen bin, war Perkampus schon wieder abgestürzt.
In dieser Zeit der Foren und des unterlassenen Blogs entstanden Texte „Sterben lernen“, die nach einigen Gesprächen mit Psychologen, mein Weiterleben nach einem symbolischen Tod garantieren sollten. Praktisch, spiessig, sparsam wie ich manchmal bin, sollten sie gleichzeitig Kernmonologe eines Theaterstückes sein. Viel später und nach der Akademiezeit entstand auch wirklich ein Stück, indem diese Idee als eine von vielen verarbeitet wurde. Dieses Stück ist ein Totentanz und handelt für eine der vier Personen nach dem Sprung von der Brücke. Im Kern geht es aber um die „Ikarusoperation“ von Zürich, obwohl auch diese nur einen Impuls gab. Die wahren Hintergründe der Geschehnisse dort, sind immer noch Inhalt staatsanwaltlicher Untersuchungen und werden von mir weder gekannt oder gar verarbeitet. Bei einer ersten Abgabe fiel das Stück durch und nach einer längeren Pause, diversen Reisen e.t.c. habe ich es nun wieder in den Händen und bearbeite es derzeit stark. Mittenrein in diese Arbeit an Gesprächen frisch Verstorbener und einer Selbstmörderin, hatte ich ein Erlebnis, welches mich stoppte und darauf brachte, dieses Erlebnis tagesaktuell zu beschreiben, in einem Weblog. Und dann folgende Erlebnisse, und daraus eine Art Werktagebuch werden zu lassen. Wenn man schreibt, hat alles was man sieht mit dem Schreiben zu tun. Darüber will ich berichten. Das eigentliche Weblog beginnt also am 12.Mai 2006. Doch vorher, um den Zusammenhang zu zeigen, der Text Serben lernen 1, der letztlich Anfang von so vielem war. Es geht nicht darum, alte Texte noch mal zu verbraten, aber wo sie passen, werde ich sie einfügen.

1 Kommentar:

  1. Thank you for the flowers, but why in english? Do you think, so you still will be under cover?

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