Sonntag, 28. Mai 2006

Piazza Vitale - Impression aus Holland

Man fliesst mit all den Käufern im warmen Nieselregen durch Enschede, fühlt sich schon beim Anblick der niedrigen Häuser, grossen Fenster mit schwarzen Rahmen, Feuertreppen an weiss gestrichenen Backsteinwänden freier, ohne bis dahin in eine der Bars oder einen der Coffeeshops eingekehrt zu sein. Schleppt sich statt dessen ab mit vier Kilo Erbeeren, denn der Marktschreier gab: "Twej for twej Euros!" Da muss man ja. Die Hälfte der Früchte ist süss, die grünen Kragen so klein und festgewachsen, dass man sie mitessen muss.
Im Kino verkaufen sie einem ein geschicktes Arrangement, das ein Wiederkommen nach Enschede leicht macht. Das bräuchte es gar nicht.
Noch eine Runde durch die plötzlich stille Stadt. Erst jetzt, wenn nach fünf die Läden geschlossen sind, ist es möglich die Schaufenster genau zu inspizieren. Gut so, wir wollen sparen und dieses Brel-DVD-Set hätte ich garantiert gekauft und die alten Italiener und, und, und... Plato heisst der Plattenladen. Auch die Schuhschaufenster sind erstaunlich. Sehr italienisch das alles hier. Dann die Piazza. Eine riesiger Platz im Regen, fast komplett umgeben von sicher tausend Kneipenstühlen unter grossen Schirmen. Langsam füllen sich die Tische, an einigen wird schon gesungen. Die Polizei nimmt ein Protokoll auf, denn beim gelben Schnellkiosk, der auch warme Speisen über Automatenfächer verkauft, hat wohl einer die Patatjes nicht bezahlt. Wir wollen was im Sitzen, warten lange unter einem grossen Schirm. Ich beobachte die Taube die aus einem Verschlag des Doms in den Regen wartet, versuche den Text von alten van Veen Liedern zusammenzubekommen, weil manche Frauen hier wirklich Augen mit Blick auf das Meer haben und ihr Po in einer engen Jeans tatsächlich und immer noch jede Dimension sprengt. Ich singe vor mich hin, vom Echo einstiger Gemütsbewegungen. Ich bin sentimental und dich interessiert das nicht, weil dich der verwirrte Kellner aufregt, der ewig auf seinem elektrischen Block herumstochert, aber die Hühnerflügel nicht kommen. Wir staunen einer alten Dame nach und diskutieren ob ihr wollener Umhang und Hut nun Malvenblau oder hellblau mit lila Einschlag. Violette Karos liegen darunter. Die Achtzigjährige wirkt adretter als die halb so alten wahrscheinlich deutschen Frauen in warnfarbenen Synthetikjacken, die bei Regen nicht besser als gute Wolle sind, wie du mir erklärst. Viele Frauen tragen hier Stiefel, haben schöne Augen und ein Auto fährt mit einem Platten auf die Piazza um unseren Kellner abzuholen. Die Flügel beleiben weiter aus, auch die Taube oben bleibt still. Dann quert ein wunderschöner Glatzkopf in einer Art hellblauen Tunika auf einem rosa Velo den Blick, mein Hollandbild ist nun voll. Deín Wartekanal auch, der neue Kellner wird angenervt und muss die Flügel verpacken, die wir nun mit ins Kino nehmen.
Die Taube bleibt im Domfenster, als wir zum Kino gehen. Sie ist besser dran als wir, denn wir laufen sehenden Auges und wissenden Hirns in unser Unglück.

Denn der Film ist jede Ermässigung wehrt, wir wissen beide nicht, warum wir uns den "Da Vinci Code" antun müssen. Du wahrscheinlich wegen da Vinci, den du liebst und in dessen Geisteswelt wir uns kürzlich in der Sonderaustellung in den Ufficien vertieften. Ich, weil ich den Roman gelesen habe und mich nun überzeugen will, dass das nur Scheisse werden kann. Schön aber ist ein holländisches Kino. Das macht Spass. Die sind gelassener, auch die Pausen sind viel länger. Deine Flügel stecken sie in den Kühlschrank, weil man ein warmes Dinner nicht mit hinein nehmen darf. Wir leiden am Bonbonknistern einer Person, ich wegen der Störung, du wegen deínem Hunger.

Der Film verstärkt das Hauptmanko des Buches ins physisch Spürbare, die Figuren, die keine andere Daseinsberechtigung haben als eine dramaturgische sind kalt und lassen einen kalt. Hanks und Tautou absolvieren riesige Mengen Text, da ja unheimlich viel erklärt werden muss, sonst funktioniert Browns Verschwörungstheorie nicht. Die Spannung die das Buch hat, vermittelt der Film nicht. Wie wohl fast jeder Mann mag ich natülich Frau Tautou sehr, aber irgendwie habe ich sie gar nicht gesehen. Sie ist nicht vorhanden und Hanks hält einfach seine Schnauze hin. Zum Grausen. Ausserdem nuscheln sie alle und die holländischen Untertitel helfen nicht immer weiter.
Aber noch ein Tip für den, der bald mal nach Enschede kommt. Im Alhambra läuft bald "Capote" der im Original zwar auch kaum verständlich aber ein Genuss ist.

Müde diskutieren wir NOCHMAL über Maria Magdalena, Opus Dei, die Rosenkreuzler, Tempelritter g ä h n und verfahren uns unter diesem trotz Dauerregen auch um elf Uhr noch etwas hellen Nordhimmel.

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